Gähnforschung: Ursachen und Wissenswertes zum Gähnen
Olivier Walusinskis gilt mittlerweile als der weltweit führende Experte auf dem Gebiet der Gähnforschung. Er hat über 1000 Artikel dazu verfasst, einen Sammelband herausgegeben („The Mysterie of Yawning“) und in Paris die erste internationale Gähnkonferenz organisiert.
Als gesichert gilt inzwischen, dass das alle gähnen: Menschen, Affen, Pferde, Hunde, Katzen, Ratten, Vögel, Krokodile, Schlangen, Fische. Ja, tatsächlich, auch Fische gähnen!
Den Juwelen-Riffbarsch zum Beispiel (er hört auch auf den Namen Microspathodon chrysurus) kann man damit ärgern, dass man ihm die Attrappe eines Artgenossen vor die Flossen stellt. Dann verharrt der aggressive Barsch zunächst regungslos, bis er so richtig sauer wird. Danach öffnet er sein Maul und gähnt den Eindringling mehrfach an. Es ist nicht bekannt, ob Barsche Mundgeruch haben. Aber abschreckend hässlich sieht das in jedem Fall aus…
Menschen gähnen übrigens besonders häufig morgens. Aber auch bei Schlafmangel, monotonem Arbeiten oder aus Langeweile (Gähnen Sie etwa gerade???).
Manche gähnen aber auch um Anspannung abzubauen: Olympioniken etwa kann man oft beim Gähnen erwischen, kurz bevor die Pistole knallt.
Mit dem Alter wiederum verändert sich die Gähnfrequenz. Während Kinder im ersten Lebensjahr bis zu 30 Mal täglich gähnen, tun es Ältere höchstens zehn Mal. Forscher aus South Carolina haben herausgefunden, dass selbst Föten im Mutterleib ab der 11. Woche gähnen können. Allerdings nicht aus Langeweile oder um Stress abzubauen, sondern weil sie so den Druck in der Lunge ausgleichen und darin angesammelte Gewebefetzen hinaus befördern.
Ansteckendes Gähnen: Wer mitgähnt, beweist Empathie
Obwohl der Mensch rund eine Viertelmillion Mal in seinem Leben gähnt, ist der Reflex in der Wissenschaft nach wie vor so gut wie unerforscht. Es gibt mehr Fragen als Antworten.
Als widerlegt gilt zumindest schon mal die Theorie, dass die spontane Gähnattacke das Gehirn mit Sauerstoff versorge. „Unfug!“, monierte der Psychologe von der Universität in Baltimore, Robert Provine, bereits 1987. Ein einzelner tiefer Atemzug rettet das ermattete Denkorgan sicher nicht vor dem Vernunftausfall. Im Blut steigt so weder die Sauerstoffkonzentration noch sinkt der Kohlendioxidlevel. Es ist zunächst nicht mehr als ein angeborener Reflex. Wir gähnen immer dann, wenn sich die Aktivität unseres Körpers verändert.
Andere vermuten, der Reflex könnte mit dem Zuckergehalt im Blut zusammenhängen: Wenig Zucker gleich mehr Gähnen. Genau wissen die Wissenschaftler das aber nicht.
Wahrscheinlicher ist: Gähnen wird nicht vom Gehirn ausgelöst. Das wiederum haben die Schweizer herausgefunden: Ein Patient, der durch einen Hirntumor vollständig gelähmt war, gähnte plötzlich. Die Neurologen schlossen daraus, dass der Reflex vom Hirnstamm gesteuert wird, also dem Übergangsbereich zwischen Hirn und Rückenmark.
Doch warum ist Gähnen ansteckend? Warum müssen wir oft einfach mitgähnen, wenn wir anderen dabei zusehen?
Die Ansteckungsgefahr beim Gähnen ist so enorm, dass allein schon der Gedanke daran (und während Sie diesen Artikel lesen) einen Gähnimpuls auslösen kann (was freilich auch am Artikel liegen könnte).
So oder so: Es gibt nur wenige Erklärungsversuche. Neuropsychologen halten das menschliche Reflexgähnen für eine Art soziale Reaktion und bedienen sich dazu zahlreicher Analogien aus dem Tierreich:
Löwen zum Beispiel gähnen sich gegenseitig an, bevor sie zur gemeinsamen Jagd aufbrechen. Bei den Affen wiederum ist es vor allem das dominante Männchen, das seine Horde gut sichtbar angähnt, um ihr zu signalisieren: Zeit, schlafen zu gehen! Bei Makaken beobachtete der Verhaltensforscher Bertrand Deputte von der Universität Rennes, dass das Alpha-Tier am meisten gähnte. Und das, obwohl der Faulpelz am wenigsten zu tun hatte, der Affe!
Gähnforscher vermuten daher, dass Gähnen auch bei uns Menschen so ansteckend ist: Der Mensch sei schließlich ebenfalls ein Herdentier.
In den USA wurde die Ansteckungsgefahr des Gähnens schon Ende Achtzigerjahre untersucht, allen voran durch den schon erwähnten Robert Provine. Damals zeigte er seinen Probanden einen gähntechnisch veränderten Film mit 30 schnarchigen Sequenzen:
- Mehr als die Hälfte der Teilnehmer gähnte schon nach wenigen Sekunden (ich vermute, es war „Titanic“),
- die anderen Probanden fünf Minuten später (was wiederum für „Dirty Dancing“ spricht).
- Nur von gähnenden Zeichentrickgesichtern ließ sich niemand mitreißen (womit „Garfield“ ausscheidet).
Und an dieser Stelle kommt eine Studie ins Spiel: Matthew Campbell von der Emory Universität in Atlanta, Georgia und der bekannte Primatenforscher Franz de Waal studierten das Verhalten von 23 Schimpansen, die in verschiedenen Sippen lebten. Auch die Primaten sahen sich einen 20-minütigen Film von anderen Affen an, in dem diese sich ausruhten oder eben gähnten.
Und siehe da: Stammte der Gähnaffe aus der eigenen Sippe, ließen sich die Primaten von ihren Verwandten in mehr als 50 Prozent der Fälle öfter anstecken, als wenn ein fremder Artgenosse gähnte.
Interessant ist in dem Zusammenhang übrigens auch, dass sich zwar Hunde untereinander kaum vom Gähnen anstecken lassen – wohl aber von ihrem Herrchen oder Frauchen. Gähnt ihr Besitzer, machen sie das in 70 Prozent aller Fälle nach.
Forscher halten das ansteckende Gähnen daher inzwischen nicht nur für eine soziale Geste, sondern vielmehr für ein starkes Indiz für Empathie.
Wer angesichts gähnender Kollegen, Freunde oder eben Verwandter mitgähnt, so die These, beweist damit auch, dass er ein besonders mitfühlender Mensch ist. Bewiesen ist zwar auch das nicht richtig – aber sympathisch ist die Theorie durchaus.
Mitgähnen: So schützen Sie sich vor der Ansteckungsgefahr
Der Psychologe Andrew C. Gallup von der Universität Albany will herausgefunden haben, wie wir uns vor der Ansteckungsgefahr des Gähnens effektiv schützen können: Seinen 50 Probanden wurden Videos von gähnenden Menschen gezeigt, wovon sich rund die Hälfte (48 Prozent) prompt anstecken ließ.
Wenn die allerdings ausschließlich durch die Nase atmeten oder sich einen kühlen Wickel von 4 Grad Celsius an die Stirn klatschten, waren sie (bis auf 9 Prozent Ausnahmen) nahezu immun gegen den solidarischen Gähnreiz.
Gallup schloss daraus, dass Gähnen kühlt. Da die grauen Zellen bis zu einem Drittel aller Kalorien sowie den Großteil des Sauerstoffs im Blut verbrauchen, entsteht dort viel Wärme. Beim Gähnen werde also vor allem kühle Luft angesaugt – als eine Art biologische Klimaanlage. Das muss man zwar nicht glauben. So gesehen gähnen Sie – falls Sie gerade gähnen – also nur, weil Sie dieser Artikel gerade sehr anregt und das Oberstübchen heißlaufen lässt. Das glauben wir dagegen gerne.
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