Boiling Frog Syndrom: Gefährliche Veränderungsresistenz
Diese im Boiling Frog Syndrome beschriebene Frustrationstoleranz oder auch Veränderungsresistenz lässt sich auf zahlreiche Lebensbereiche übertragen:
- Auf den Job
Wir registrieren vielleicht, dass die Umsätze unseres Arbeitgebers kontinuierlich schrumpfen, Gegenstrategien fehlen und die Arbeitsbedingungen seit Jahren verschlechtern – und bleiben dennoch passiv in der faulen Hoffnung: „Irgendwann geht’s schon wieder bergauf!“ Doch was, wenn es sich nicht um einen Konjunkturzyklus, sondern um einen Transformationsprozess handelt? Was, wenn das Unternehmen bald nicht mehr wettbewerbsfähig und die eigene Position unnütz wird? - Auf das Fachwissen
Jeder hat schon vom lebenslangen Lernen gehört. Und doch gibt es immer wieder Phasen, in denen wir glauben, dass das nicht gilt. Kurz nach der Uni etwa („Ich hab doch gerade zuende gelernt, jetzt muss ich das auch mal anwenden.“) oder mit Blick auf die Rente („Die nächsten zehn Jahre wird mein Know-how noch reichen. Nach mir die Sintflut!“). Fatal, wenn die Rechnung nicht aufgeht. Gerade im Hochtechnologiebereich nimmt die Halbwertzeit des Wissens seit Jahren dramatisch ab. Aber nicht nur da! - Auf Beziehungen
In diesem Fall ist es eher umgekehrt: Wir spüren, wie die Liebe erkaltet und die Leidenschaft füreinander immer weniger lodert – und tun doch nichts dagegen. Bis der oder die Partner(in) abspringt.
Boiling Frog Syndrom: Was bleibt, ist die Veränderung
Das heimtückische am Boiling Frog Syndrom ist, dass es sich dabei nie um eine Revolution handelt. Die kündigt sich in der Regel mit großem Tamtam, mit dramatischen Veränderungen und in der Geschichte zuweilen durch viel Blutvergießen an. Diktatoren werden gestürzt, neue beanspruchen die Macht, das Geld ist nichts mehr wert, persönliche Freiheiten werden beschränkt. Das bekommt selbst der tumbeste Tor mit.
Beim Frosch im Topf kommt der Wechsel jedoch ganz langsam, peu-à-peu. Vergleichbar ist das mit dem Internet: Das World Wide Web kam nicht als Folge einer Revolution. Es entstand aus einer Idee und wuchs immer schneller. Es bot mehr Chancen – in der Kommunikation, beim Konsum, beim Generieren und Teilen von Wissen. Es hat zahlreiche neue Geschäftsmodelle hervorgebracht und Unternehmen geschaffen, von denen wir nie ahnten, dass es sie einmal geben würde.
Oder hätten Sie vor zehn Jahren gedacht, dass eine Online-Suchmaschine einmal eines der wertvollsten (und vielleicht mächtigsten) Unternehmen der Welt sein würde? Oder dass das Konzept eines Jahrgangsbuchs mehr Menschen verbindet als das bis dahin drittgrößte Land der Erde? Wir blicken mit Faszination auf all diese Veränderungen, registrieren aber nicht, dass der Boden unter den eigenen Füßen immer heißer wird.
Nichts ist stetiger als der Wandel
Denn auch dass passiert parallel: Zahlreiche traditionelle Geschäftsmodelle funktionieren heute nicht mehr, das Web zerstört Märkte, setzt Regeln außer Kraft und schafft ganz neue eigene:
- Wozu braucht es CDs, wenn man Musik online kaufen, verkaufen, tauschen kann?
- Wozu braucht es Videotheken, wenn wir Filme zu jedem Zeitpunkt herunterladen können (und die sind dann nicht mal mehr vergriffen)?
- Wozu braucht es Zeitungen, wenn die doch nur die Live-Nachrichten von gestern nacherzählen und auf Papier fixieren?
Kritik am Boiling Frog Syndrom
Maßgeblich geht das Boiling Frog Syndrom auf (ziemlich grausame) Experimente um den Pysiologen Friedrich Leopold Goltz im Jahr 1869 zurück. Wobei sich auch bei späteren Versuchen zeigte: Wird das Wasser zu schnell erhitzt, versucht der Frosch der Gefahr zu entkommen und hüpft weg. Bei einem Experiment von William Thompson Sedgwick aus dem Jahr 1882 wurde die Wassertemperatur allerdings lediglich um 0,002 Grad pro Minute erhitzt. Effekt: Der Frosch bekam davon nichts mit – und war nach zweieinhalb Stunden tot.
Neben den ethischen Bedenken zweifeln moderne Forscher inzwischen an der inhaltlichen Aussagekraft des Boiling Frog Syndroms. Der ehemalige Zoologe und Professor an der Universität von Oklahoma, Victor H. Hutchison, etwa konnte im Jahr 2002 anhand von Versuchen zeigen, dass jede Amphibie einen Temperaturanstieg von nur 0,5 Grad pro Minute bemerken und entsprechend weghüpfen würde. Davon abgesehen, dass ein Frosch ohnehin nicht einfach in einem Topf still sitzenbleiben würde.
Kurzum: Allzu wörtlich darf man die Geschichte nicht nehmen. Im Topf bleibt der Frosch eher nicht sitzen. Und einen Teich superlangsam auf Kochtemperatur zu erhitzen, könnte zwar funktionieren – herausfinden wollen wir das aber nicht. Vielmehr handelt es sich bei dem Syndrom um eine durchaus „nützliche Metapher“, wie schon der Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman anmerkte. Ähnlich wie die vom Vogel Strauß, der seinen Kopf in den Sand steckt.
Der Frosch im Topf: Alles faule Ausreden
Ausgetretene Bahnen verlassen, Neues wagen, ganz vorn dabei sein – davon reden viele. Vor allem viele Manager. Kaum einer würde zugeben, dass er versucht, sich doch noch irgendwie durchzuwurschteln und in Wahrheit so weitermacht, wie bisher (mit kleinen Schönheitskorrekturen). Etwa weil ihm der Mut zu Größerem fehlt – oder gar die Idee. Lassen Sie sich davon also nicht täuschen. Mehr aber noch: Täuschen Sie sich selbst nicht!
Wenn Sie feststellen, dass Sie (in Ihrem Job) in einem Topf auf einer eingeschalteten Herdplatte sitzen, dann verfallen Sie nicht in klassische Begründungen, um dort zu verharren. Viele dieser typischen Erklärungen klingen nur am Anfang klug und plausibel. Auf den zweiten Blick aber bleiben es Ausreden – wie diese:
- „Ich bin loyal.“ – Eine gute Eigenschaft. Aber ist das Ihr Arbeitgeber auch – vor allem, wenn die Umsätze einbrechen oder Sie eine berechtigte Gehaltserhöhung einfordern?
- „Woanders ist das Gras auch nicht grüner.“ – Stimmt. Jedes Unternehmen hat seine Probleme. Aber jedes seine eigenen. Womöglich kommen Sie mit den Defiziten der anderen besser klar.
- „Wenn ich kündige, hat mein Chef erreicht, was er wollte (der Mistkerl)!“ – Na und? Wenn Sie bleiben, kann er Sie noch länger ärgern. Was ist wichtiger: Ihre Karriere oder Ihr Stolz?
- „Ich finde so schnell keinen neuen Job.“ – Haben Sie es denn schon versucht? Und haben Sie es richtig versucht? Womöglich suchen Sie an der falschen Stelle oder stellen unmögliche Anforderungen.
- „Wenn ich kündige, verliere ich mein Abfindung, mein Einkommen, meinen Dienstwagen, meinen Status.“ – Warum arbeiten Sie dort: für das Geld oder aus Leidenschaft? Verwechseln Sie nicht Ursache mit Wirkung: Das Geld ist Ergebnis Ihrer Leidenschaft und Leistung. Wenn Sie in Ihrem jetzigen Zustand verharren, verlieren Sie womöglich auch noch Ihre Reputation. Nur nicht Ihre Motivation, die sind Sie schon quit.
- „Der Job ist einfach zu gut bezahlt.“ – Das nennt man Schmerzzulage. Offenbar haben Sie aber bereits Ihre Schmerzgrenze erreicht, sonst würden Sie nicht über einen Jobwechsel nachdenken.
- „Ich habe bis jetzt einfach zu viel in dieses Projekt investiert.“ – Aber wird das auch honoriert? Und lohnt es sich langfristig?
- „Jetzt schon zu kündigen, sieht schlecht im Lebenslauf aus.“ – Zu bleiben und zu scheitern oder gar gekündigt zu werden, sieht noch schlechter aus.
Veränderungen beginnen schon mit kleinen Schritten
Verstehen Sie uns bitte nicht falsch: Das ist kein Aufruf, sofort zu kündigen. Denn man kann das Prinzip der Veränderung auch anders sehen. Ein Absprung wie in der Frosch-Parabel wirkt stets nach einem großen, alles verändernden Schritt, beziehungsweise Hüpfer. Nicht selten reicht aber schon ein kleiner: Stellen Sie sich vor, Sie würden nur eine winzige Sache in Ihrem Leben verändern – eine Gewohnheit etwa oder eine Konstante in Ihrem Beruf –, die aber über Tage, Wochen, Monate, Jahre hinweg. Sie kämen am Ende an einem ganz anderen Punkt in Ihrem Leben heraus.
Am Anfang sind die Unterschiede womöglich noch gering, sodass sie kaum auffallen. Aber auf lange Sicht, ist es ein dramatischer Kurswechsel. Wie bei der Navigation im All: Schon eine minimale Abweichung – und man landet Lichtjahre entfernt ganz woanders. Wenn Sie also etwas verändern wollen – in ihrem Beruf, in ihrer Beziehung, in ihrem Leben –, dann fangen Sie einfach an. Ob groß oder klein – Hauptsache, Sie machen einen Hüpfer. Erst recht, wenn Sie das Gefühl haben, in einem Kochtopf zu sitzen.
Froschhüpfen: Eine Parabel über Leidensdruck
Fünf Frösche wollen zum Schwimmen an den See hüpfen. Sie fragen auch den kleinsten Frosch in ihrer Gruppe, ob er Lust habe, mitzukommen. „Klar!“, sagt der. Und so machen sie sich alle gemeinsam auf den Weg. Doch als sie die Straße überqueren, fällt der kleine Frosch in ein Schlagloch.
Die anderen Frösche sagen: „Los, spring raus! Komm mit!“
Der kleine Frosch springt und hüpft, aber ohne Erfolg. Er sagt: „Das Schlagloch ist zu tief! So hoch kann ich nicht springen!“
Da feuern ihn die anderen noch mehr an. Doch es hat keinen Sinn. Der kleine Frosch gibt auf und die anderen Frösche hüpfen weiter zum See.
Eine Stunde später kommt der kleine Frosch plötzlich nach. Die anderen fragen ihn erstaunt: „Wie hast du das geschafft? War das Schlagloch nicht zu tief?“
Da sagt der kleine Frosch: „Es kam ein Lastwagen angedonnert. Ich musste.“
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