Definition: Was ist das Calimero-Syndrom?
Das Calimero-Syndrom beschreibt Menschen, die sich immerzu beschweren, jammern und klagen. Ihr Leben grundsätzlich voll mit negativen Erlebnissen. Deshalb sehen sie sich als Opfer der Umstände und rechnen stets mit dem Schlimmsten – selbst in Situationen, in denen sie etwas ändern könnten.
Entdeckt hat das Calimero-Syndrom (seltener: Calimero-Komplex) der französische Psychoanalytiker Saverio Tomasella. Er beschreibt in seinem Buch „Le syndrome de Calimero“ (Das Calimero-Syndrom) eine bestimmte Sorte Mensch, die durch extremen Pessimismus und starke Negativität auffällt.
Warum heißt das Phänomen „Calimero“ Syndrom?
Benannt ist das Phänomen nach einem kleinen, schwarzen Küken der gleichnamigen italienisch-japanischen Zeichentrickserie. Calimero trägt eine Eierschale auf dem Kopf und zeichnet sich vor allem durch Jammern aus: Er ist nur ein kleines Küken, die Großen gewinnen immer und das Leben ist schwer und einfach ungerecht.
Calimero-Syndrom Symptome
Wie das glücklose Küken Calimero klagen Menschen mit Calimero-Syndrom ständig über die Ungerechtigkeiten, die ihnen widerfahren. Vordergründig betreiben diese Menschen einfach Selbstsabotage. Denn wer nur das Schlimmste erwartet, sieht nicht die Chancen, die sich ebenso eröffnen. Das Ganze gerät zur selbsterfüllenden Prophezeiung.
Allerdings gibt es einen Grund für dieses Verhalten. Oft hat das Calimero-Syndrom seine Ursache in zahlreichen negativen Erfahrungen. Vielen Betroffenen hat das Leben bisher tatsächlich übel mitgespielt: Sie leben in prekären oder finanziell angespannten Verhältnissen, hatten Pech im Job, mit Freunden und Partnern oder eine schwierige Kindheit. Entsprechend rechnen sie ständig mit dem Schlimmsten und neuen Schicksalsschlägen.
Calimero-Complex oder Napoleon-Komplex?
Das Calimero-Syndrom gibt es nicht nur bei Einzelpersonen. In den Niederlanden ist der Begriff auch als Calimero-Komplex (oder: „Calimero Complex“) bekannt. In dem Fall bezeichnet das Phänomen eine Organisation oder ein ganzes Land, das aufgrund seiner geringen Größe Minderwertigkeitsgefühle empfindet oder sich nicht ernstgenommen fühlt.
Bestes Beispiel ist das ambivalente Verhältnis zwischen den Niederlanden und seinem großen Nachbarn Deutschland: Manche sehen den Calimero-Complex eng verwoben mit dem Napoleon-Komplex: So bezeichnet der Psychologe Alfred Adler den Wunsch kleiner Personen, ihre Körpergröße mithilfe von Statussymbolen und erkennbaren Erfolgen zu kompensieren.
Ursachen für den Calimero-Complex
Tomasella ist überzeugt, dass Betroffene des Syndroms ihren schwierigen Erlebnissen in der Vergangenheit zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und sie nie wirklich verarbeitet haben. Beispielsweise können traumatische Erfahrungen wie Tod und Verlust eines Familienmitglieds, Zurückweisung, Misshandlung, Cybermobbing oder Mobbing in der Schule dazu führen, dass die „Calimeros“ eine Opferhaltung entwickeln.
In der jeweiligen Situation waren sie hilflos. Diese Ohnmachtsgefühle haben sie nie wirklich aufgearbeitet. Stattdessen beklagen die Calimeros allgemein die Ungerechtigkeiten der Welt. Das durchzieht ihr gesamtes Leben und alle Themen: Selbst Lappalien wie schlechtes Wetter, kalt serviertes Essen oder ein Missgeschick erfahren die gleiche Aufmerksamkeit wie wirkliche Schicksalsschläge. Jede noch so kleine Abweichung vom Ideal erzeugt neues Jammern. In Wirklichkeit ist das Gejammer aber Ausdruck von tief verborgenem Kummer und Selbstmitleid.
Folgen der Schwarzseherei
Schwarzsehen ist die vorrangige Lebenseinstellung beim Calimero Complex. Für ihr soziales Umfeld ist dieses Verhalten extrem anstrengend. Die häufigste Folge von dauerhaftem Beschweren und Jammern: Kollegen, Freunde und Familie wenden sich ab.
Die anhaltende Negativität verdirbt anderen nicht nur die Stimmung und verbreitet schlechte Laune. Fehlender Optimismus zieht irgendwann tatsächlich runter. Dahinter steckt die Macht der eigenen Gedanken und die klassische Grübelfalle.
Warum dauerhaftes Jammern schadet
Wissenschaftler der Florida State University und der University of Arkansas fanden heraus, dass dauerhaftes Jammern real negativ für unser Wohlbefinden ist. Für ihre Studie verglichen sie 600 Arbeitnehmer aus verschiedenen Berufen miteinander. Diejenigen, die chronisch jammerten, hatten ein erhöhtes Stresslevel und waren häufiger depressiv.
Auch Psychologen der Oklahoma State University konnten nachweisen, dass sich das Stresshormon Cortisol beim ständigen Klagen mitnichten verringert, sondern sogar erhöht. Wer nur jammert, vergrault also nicht nur Freunde, sondern schadet sich selbst und seiner Gesundheit. Außerdem löst der Blick zurück keine Probleme.
Unterschied zwischen Austausch und Calimero-Syndrom
An dieser Stelle ein Hinweis: Grundsätzlich ist es legitim, wenn Menschen über ihre Probleme reden. Ein Problem zu schildern und um Rat zu fragen, zeugt von Vertrauen. Es besteht aber ein Unterschied zwischen Menschen, die sich mitteilen und austauschen und jenen, die am Calimero-Syndrom leiden.
Erstere sind an einer Problemlösung interessiert. Die „Calimeros“ hingegen wollen ihren Ballast loswerden, indem sie nur jammern (weshalb es nicht gelingt). Ihr Gegenüber soll bitte nur zuhören und dem weinerlichen Monolog zustimmen. Wirklich etwas ändern, wollen sie nicht.
Wie kann ich das Calimero-Syndrom überwinden?
So nachvollziehbar das Calimero-Syndrom ist, so ungesund ist es auch. Jammern als Lebensinhalt führt zu nichts. Falls Sie sich betroffen fühlen und das Calimero Syndrom überwinden wollen, finden Sie hier einige Anregungen und Tipps:
Selbstreflexion üben
Halten Sie inne, wenn Sie sich selbst dabei ertappen, wieder etwas zu monieren: Können Sie eine Situation zum Besseren verändern? Versuchen Sie zu messen, wie häufig am Tag Sie Umstände kritisieren und wie viel Zeit Sie darin investieren. Passiert Ihnen das mehrmals am Tag und das tagtäglich, spricht vieles für ein veritables Calimero-Syndrom. Sprechen Sie in dem Fall einen Facharzt oder Psychologen an.
Sport treiben
Ein Problem beim Calimero-Syndrom ist die Passivität. Betroffene beklagen den Zustand der Welt oder einer aktuell unschönen Situation – und steigern sich regelrecht hinein. Das verstärkt ihr Problem eher noch. Sport kann helfen, solche Verhaltensmuster aufzubrechen. Er löst indirekt Probleme, indem er zum Stressabbau beiträgt. Anschließend durchfluten Glückshormone den Körper – außerdem wird dabei der Kopf frei für neue Ideen.
Vertrauen gewinnen
Manche Dinge lassen sich nicht ändern. Solange sie keine Gefahr für Leib und Leben bedeuten, empfiehlt sich mehr Gelassenheit: Üben können Sie diese mithilfe von Autosuggestion und Meditation. Programmieren Sie Ihre negative Einstellung um, indem Sie Ihren Fokus auf positive Dinge und Erlebnisse legen. Das schenkt Ihnen wieder mehr Selbstvertrauen, dass Sie Hindernisse überwinden können.
Therapie
Wer alleine nichts an seiner Situation ändern kann, sollte sich professionelle Unterstützung suchen. Besonders erfolgsversprechend ist die kognitive Verhaltenstherapie. Sie zielt unter anderem auf oben genannte Schritte ab, begleitet allerdings den Betroffenen auf seinem Weg.
Wie sollten andere mit „Calimeros“ umgehen?
Zeigt ein Kollege oder Bekannter das Calimero-Syndrom, gibt es verschiedene Wege, damit umzugehen. Zuerst: Beweisen Sie Empathie und hören Sie erst einmal zu. Vielleicht können Sie ja doch helfen. Verliert sich Ihr Gegenüber jedoch im Dauer-Jammern, sollten Sie das ansprechen: Geben Sie Ihrem Gesprächspartner zu verstehen, dass er die Grenze zwischen einer normalen Beschwerde und ständigem Gejammer überschreitet. Wichtig dabei: Schildern Sie, was das mit Ihnen selbst macht (Ich-Botschaften!). So wird vielen ihr eigenes Verhalten bewusster – und sie können das Feedback besser annehmen – ohne Gesichtsverlust.
Warum jammern „Calimeros“?
Es sind mehrere Gründe denkbar, warum Menschen mit Calimero-Complex so häufig jammern:
1. Aufmerksamkeitssucht
Ein Grund für das Calimero-Syndrom könnte in Aufmerksamkeitssucht liegen. Wer ständige Aufmerksamkeit durch andere benötigt und aus allem ein Drama macht, wurde in der Kindheit womöglich von seinen Eltern vernachlässigt. Das passt zu Tomasellas Vermutung, dass die Betroffenen mitunter schwere Schicksale mit sich herumtragen. Umgekehrt gibt es Menschen, die ständig von ihren Eltern umsorgt und verhätschelt wurden. Sie haben nie gelernt, ohne ständigen Beifall oder Kommentare durch andere auszukommen.
2. Hilflosigkeit
Der amerikanische Psychologe Martin E. P. Seligman entdeckte in seinen Studien zufällig das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit. Das bezeichnet ein Verhalten, bei dem Menschen in der gegenwärtigen – für sie negativen – Situation verharren, obwohl sie etwas ändern könnten. Wie beim Calimero-Syndrom liegt der Grund dafür in vergangenen Erfahrungen. Die Betroffenen waren damals tatsächlich hilflos und übertragen diese Hilflosigkeit auf aktuelle Situationen. Damit bleiben sie in einem ewigen Kreislauf, aus dem sie sich selbst nicht befreien können.
3. Angewohnheit
Ständiges Klagen kann auch eine Art übernommene Marotte sein: Eltern sind die ersten Vorbilder für ein Kind. Haben schon die Eltern viel geklagt, lernt das Kind, dass dieses Verhalten in Ordnung ist. Somit müssen weniger traumatische Erlebnisse ursächlich sein, vielmehr ist das Calimero-Syndrom familieninterne Kultur.
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