Experten-Syndrom Definition: Selbsternannte Fachleute
Für jemanden mit Experten-Syndrom gibt es verschiedene Bezeichnungen: Besserwisser, Klugscheißer oder Hochstapler. Das Phänomen ist nicht neu. Gemeint ist jemand, er sich selbst als Experte betrachtet; die besonders ausgeprägten Fälle haben zu jeder Problematik die passende Lösung.
Auf einige Außenstehende wirkt so jemand unglaublich beruhigend, denn er strahlt absolute Gewissheit und Selbstsicherheit aus. Es ist ja auch so angenehm: Es gibt ein Problem und da ist er, der (selbsternannte) Experte, der sofort Rat weiß. Unsichere Menschen zieht er an.
Menschen mit Experten-Syndrom geben gerne ihren Senf zu allem, was sie für andere Personen wiederum unsympathisch macht. Denn so ein Experten-Syndrom sorgt bei jemanden mit entsprechender Persönlichkeit für Aufmerksamkeitssucht. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Häufigkeit des Experten-Syndroms im Laufe der Zeit zugenommen hat.
Experten-Syndrom: Veränderter Zugang zu Informationen
Das liegt nicht nur daran, dass man heutzutage Dinge besser dokumentieren und überliefern kann. Auch die Veränderung der Medienwelt, der Austausch und die Zirkulation von Nachrichten und Informationen ist heutzutage völlig anders als noch vor wenigen Jahrzehnten.
Das Experten-Syndrom ist somit auch ein Spiegel der gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse. Stehen rein egoistische Motive im Vordergrund, die auf den Schaden anderer abzielen, kann man klar von Betrug sprechen.
Jemand mit Experten-Syndrom glaubt Wissen zu haben, einen echten Experten hingegen zeichnet aus, dass er über ein überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem Fachgebiet oder über spezielle Fähigkeiten verfügt. Diese Expertise ist jedoch nichts, das man im Handumdrehen erlangt:
Genau dieses Phänomen lässt sich jedoch zunehmend beobachten: Jahrelanges Studium, Wissen, das durch Feldforschung erworben wurde, kritisches Prüfen von Quellen – all das zählt plötzlich nichts mehr.
Jedenfalls in bestimmten Kreisen, etwa Verschwörungstheoretikern oder eben unter Menschen mit Experten-Syndrom, bei denen Selbstüberschätzung das Hauptproblem ist.
Experten-Syndrom: Studie entlarvt Besserwisser
Stav Atir von der Cornell University in Ithaca und seine Kollegen Emily Rosenzweig und David Dunning konnten in Studien Folgendes beobachten: Menschen mit Experten-Syndrom lassen sich häufiger dazu hinreißen, falsches Wissen für sich zu beanspruchen.
Dieses auch als Overclaiming (zu deutsch etwa: etwas über die Maßen hinaus für sich beanspruchen) bezeichnete Phänomen führt dazu, dass diese Personen ihr Wissen als außerordentlich groß einschätzen und selbst Kenntnis von Dingen behaupten, die nicht existieren.
Konkret ließ sich das in einer Reihe von Experimenten nachweisen, in denen die Testpersonen selbst einschätzen sollten, wie gut sie sich in der Finanzwelt auskennen. Dazu präsentierten die Forscher ihnen eine Liste mit 15 vermeintlichen Fachtermini, bei denen die Probanden angeben mussten, ob sie ihnen bekannt waren oder nicht.
Heraus kam, dass diejenigen mit Experten-Syndrom, die möglicherweise tatsächlich Kenntnisse über Inflation oder Eigenkapitaldarlehen hatten, sich auch besonders sicher waren, den Begriff „annualisierte Kredite“ zu kennen. Hierbei handelte es sich jedoch um eine Erfindung der Forscher.
Stav Atir und seine Kollegen konnten das Experten-Syndrom nicht nur bei Finanzthemen beobachten, sondern auch in anderen Bereichen wie etwa der Biologie und Literatur. Faszinierenderweise änderten sogar vorherige Warnungen an die Versuchsteilnehmer, dass auch erfundene Fachbegriffe vorkämen, nichts an den Ergebnissen.
Experten-Syndrom: Dunning-Kruger-Effekt
Der Sozialpsychologe David Dunning forscht bereits länger zu diesem Thema. Zusammen mit seinem Kollegen Justin Kruger beschrieb er 1999 den „Dunning-Kruger-Effekt„, der sich wie eine Definition des Experten-Syndroms liest. Demnach läuft die Selbstüberschätzung immer in vier Stufen ab:
- Das eigene Wissen wird aufgrund der Inkompetenz überschätzt.
- Das Ausmaß der eigenen Inkompetenz wird nicht erkannt.
- Dadurch kann die eigene Kompetenz nicht gesteigert werden.
- Somit werden die überlegenen Fähigkeiten von anderen wiederum unterschätzt.
Dafür ursächlich ist zum einen, dass Menschen mit Experten-Syndrom zu selektiver Wahrnehmung neigen: Sie nehmen einfach nur Ausschnitte eines bestimmten Sachverhaltes wahr, Teilinformationen, und wähnen sich mit diesem Halbwissen bereits als Fachmann.
Zum anderen fehlt es entweder an entsprechendem Feedback durch Menschen, die auf Fehler hinweisen oder aber es wird schlichtweg ignoriert. Denn der Prozess der Erkenntnis, dass man selbst weitaus weniger weiß als vermutet, ist natürlich nicht besonders angenehm.
Da bedarf es nicht nur der kritischen Selbstreflexion, sondern auch einer gewissen Souveränität im Umgang mit eigenen Fehlern.
Impostor-Syndrom: Das Gegenteil vom Experten-Syndrom
Das Lustige ist: Viele Menschen, die sich zu Recht als Experten bezeichnen könnten, da sie sich jahrelang mit einem bestimmten Fachgebiet auseinander gesetzt haben, sind da weitaus bescheidener. Das liegt möglicherweise daran, dass sie aufgrund ihrer Expertise einen Überblick über das Thema haben und ermessen können, wie umfangreich es ist.
Einige von ihnen entwickeln das Gegenteil vom Experten-Syndrom, das sogenannte Impostor-Syndrom. Diese Menschen leben in der ständigen Furcht, jemand könnte ihre Unwissenheit entdecken, könnte sie als Hochstapler enttarnen: Sie fürchten, es käme heraus, dass sie in Wirklichkeit nichts können und nichts wissen.
Es gibt verschiedene Ursachen für diese Befürchtung. Manchen fällt das Aneignen von Wissen unglaublich leicht. Die weit verbreitete Meinung ist aber, dass Wissen sich hart erarbeitet werden muss. Im Umkehrschluss kommen Impostor zu der Überzeugung, dass sie also nichts wissen oder zumindest ihr Wissen nur wenig wert ist.
Daneben ist Perfektionismus eine weitere Ursache:
Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Dieses Zitat, das gerne dem antiken Philosophen Sokrates zugeschrieben wird, könnte als Losung für Menschen mit Impostor-Syndrom gelten. Das Wissen, das sie erworben haben, ist nie genug, denn sie wissen genau, dass es immer noch jemanden gibt, der auf diesem Gebiet mehr weiß.
Dieses Denken kann zu einem Hamsterrad führen: Impostor sind regelmäßig bemüht, ihr Wissen zu erweitern und werden infolgedessen erst recht zu Experten. Und das unterscheidet sie wiederum fundamental von Menschen mit Experten-Syndrom: Diese erweitern ihr Wissen nicht, denn sie glauben sich bereits allwissend.
Gefahr bannen: Woran Sie das Experten-Syndrom erkennen
Die mangelnde Weiterbildung von Personen mit Experten-Syndrom kann drastische Konsequenzen haben. Wer sich für einen Experten hält, trifft Fehlentscheidungen. Im Bereich Finanzen kann das ein Unternehmen in den Ruin treiben. Auch im gesundheitlichen Bereich lässt sich dieses Problem beobachten – mit Konsequenzen für die Umgebung, beispielsweise aktuell bei Impfgegnern.
Solides Halbwissen kombiniert mit quasireligiösen Überzeugungen führen zu Entscheidungen, bei denen andere das Nachsehen haben. Das Problem ist, dass jemand mit Experten-Syndrom oftmals sehr selbstbewusst auftritt, während diejenigen mit Impostor-Syndrom eher abwägen.
Was können Sie tun, um dieses Risiko zu mindern? Seien Sie kritisch, wenn Sie folgende Dinge beobachten:
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Unbegrenztes Fachgebiet
Menschen mit Experten-Syndrom kennen die Antwort auf alles. Niemals würden sie eingestehen, wenn etwas über ihren Horizont geht. Typisch Dunning-Kruger-Effekt eben: Sie erkennen ihre Inkompetenz nicht. Echte Experten hingegen kennen ihre Grenzen und werden diese benennen.
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Einseitiges Denken
Jemand mit Experten-Syndrom denkt in Schwarz-weiß-Kategorien und wird selbst bei Sachverhalten, in denen es keine eindeutige Antwort gibt, exakt das behaupten. Genau das ist aber unseriös; echte Experten werden auch Gegenmeinungen präsentieren, um ein möglichst allumfassendes Bild wiederzugeben.
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Problematische Quellen
Ihr Wissen beziehen diese „Experten“ ausschließlich aus Internetquellen. Auch dort gibt es Zugang zu seriösen Quellen, aber eben auch viel Mist. Das Internet sollte bei echter Forschung und echtem Expertentum nie ausschließliche Quelle sein; echte Experten betreiben selbst Feldforschung und erlangen aus erster Hand Wissen.
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Schnelle Lösungen
Wer am Experten-Syndrom leidet, hat sofort die Antwort parat. Selbst wenn Sie gegenteilige Informationen haben, wird so jemand noch felsenfest von seiner Variante überzeugt sein. Echte Experten hingegen werden vor allem bei komplexeren Sachverhalten sich Rückendeckung durch andere Experten verschaffen oder anderweitige Nachforschungen anstellen.
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