Definition: Was ist Schamgefühl?
Wer Schamgefühl empfindet, ist verlegen, peinlich berührt.
Schamgefühl steht synonym für:
- Befangenheit
- Unsicherheit
- Verlegenheit
- Zurückhaltung
Aber auch für Ehre und Tugend – weshalb es in vielen Kulturen an die weibliche Sexualität geknüpft war und ist. Heißt: Ein bestimmtes – tugendhaftes, sittlich strenges – Verhalten, das gesellschaftlich definiert ist, wird von Frauen erwartet. Verhält sie sich nach gängiger Norm abweichend, wird sie entsprechend sanktioniert werden.
Schamgefühl ist unter anderem mit Nacktheit und der eigenen Intimsphäre verbunden, aber längst nicht nur. Wir schämen uns außerdem, wenn wir hinter den Erwartungen anderer (gesamtgesellschaftlich oder solchen unserer Freunde, Vorgesetzten, Familienmitglieder) zurückbleiben.
Schon Kinder besitzen Schamgefühl
Der berühmte Soziologe Norbert Elias ging noch davon aus, dass Schamgefühl eine Errungenschaft der Zivilisation und vor allem der frühen Neuzeit sei: Der Adel habe im Laufe der Jahrhunderte bestimmte Normen entwickelt und im Zuge dessen Tabus aufgestellt, was schicklich und was weniger schicklich sei.
Der Ethnologe Hans Peter Duerr konnte zeigen, dass Scham allerdings keineswegs eine neuzeitliche oder durch westliche Zivilisation geprägte Empfindung ist. Das Schamgefühl ist je nach Kultur verschieden ausgeprägt und nicht unbedingt an Nacktheit gebunden – siehe Freikörperkultur oder „Naturvölker“ auf der einen, tief verschleierte Frauen in streng muslimischen Ländern auf der anderen Seite.
Das heißt aber nicht, dass das Schamgefühl der Erstgenannten nicht existent ist. Es wird lediglich an anderen Normen und Werten festgemacht. Wird gegen diese verstoßen, lassen sich dieselben Anzeichen beobachten. Klar ist, dass Scham und Schamgefühl zutiefst menschliche Eigenarten sind, die bereits bei kleinen Kindern ausgeprägt sind.
Die äußerlichen Merkmale sind immer die gleichen. Das Blut schießt ins Gesicht, der Person wird sehr warm, unter Umständen schwitzt sie, der Blick wird gesenkt, die ganze Körperhaltung eine einzige Unterwerfungsgeste. Signalisiert wird: Ich weiß, dass das nicht richtig war, bitte vergib mir.
Hinter dieser Geste steckt die Angst vor Strafe und der Wunsch, trotz des Regel- oder Tabubruchs nicht aus der Gesellschaft ausgestoßen zu werden. Denn der Mensch braucht andere Menschen.
Wodurch entsteht die Verlegenheit?
Ausgelöst wird das Schamgefühl durch beobachtbares Fehlverhalten – wahlweise bei einem selbst, aber auch bei einer anderen Person. Bestes Beispiel dafür ist das sogenannte „Fremdschämen“: In unzähligen Reality-Formaten, teilweise Scripted Reality, fallen Menschen entweder durch ihr Verhalten außerhalb der Norm auf oder aber werden in intimen Situationen gezeigt, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Entblößung – sowohl im wörtlichen als auch übertragenen Sinne. Wird die Tür zur Umkleidekabine aufgerissen, obwohl sich noch jemand leicht bekleidet darin befindet, löst das häufig Scham aus – teilweise beim Entblößten ebenso wie bei der Person, die unfreiwillig Zeuge der Entblößung wurde.
Daneben findet Entblößung auch in anderen Bereichen statt, beispielsweise wenn investigative Journalisten oder polizeiliche Recherche Betrügereien aufgedeckt werden. Interessanterweise führt derart offensichtliches Fehlverhalten bei den Überführten selten dazu, dass sie sich genieren.
Denn Grundvoraussetzung für Schamgefühl sind internalisierte Werte und Normen und der Wunsch, dazuzugehören. Menschen hingegen, die durch deviantes Verhalten auffallen, begehen diese Regelbrüche oftmals gezielt. Ihnen ist eine Rücksichtslosigkeit zu eigen, die sie dreiste Lügen verbreiten lässt, ohne einen Hauch von Reue oder gar den Wunsch nach Besserung zu verspüren.
Im Berufsleben laufen Ihnen solche Menschen beispielsweise in Form von funktionalen Psychopathen über den Weg. Ihnen macht es keine Sorgen, anderen vor den Kopf zu stoßen und ihr eigenes Verhalten wird nie infrage gestellt.
Normen und Werte sichern Zugehörigkeit
Jede Gesellschaft hat ihre Normen und Werte. Innerhalb von Gesellschaften gibt es weitere Ausdifferenzierungen unter bestimmten Gruppen. Folgende Faktoren tragen dazu bei, dass es zusätzliche Regeln geben kann:
- Alter
- Geschlecht
- Religion/Weltanschauung
Von allen Mitgliedern der Gesellschaft wird regelkonformes Verhalten erwartet. Das Grundgesetz ist noch der größte gemeinsame Nenner. Zusätzlich kommen weitere Regeln dazu, je nachdem in welche Rolle jemand schlüpft. Die Anforderungen an eine Privatperson sind andere als auf der Arbeit.
Wer sich als Jugendlicher innerhalb seiner Peergroup bewegt, weiß welches Verhalten andere von ihm erwarten. Und er weiß, dass Regelbrüche Konsequenzen haben – den imaginären Stempel auf der Stirn, der zeigt: „nicht cool“ oder schlimmstenfalls den Ausschluss aus der Gemeinschaft, beispielsweise auf dem Pausenhof, dem Fußballclub.
Schamgefühl ist die Erkenntnis, dass etwas mit der eigenen Person und dem eigenen Verhalten nicht in Ordnung, gesellschaftlich – zumindest in der Gruppe – nicht akzeptiert ist.
Was nach Meinung der Gesellschaft eines Schamgefühls würdig ist, zeigt sich auch an den Geschlechtern. Westliche Gesellschaften sind um Gleichberechtigung und Toleranz bemüht, dennoch gibt es Unterschiede. Öffentliche Nacktheit ist bei Frauen weitestgehend akzeptiert, bei Männern weniger.
Andersherum werden harte äußerliche Maßstäbe an Frauen gelegt: Wer keine 90-60-90-Maße aufweist, ist ständiger Kritik ausgesetzt. Das gilt umso mehr, wenn Frauen in der Öffentlichkeit stehen oder eine gewisse Internetpräsenz als Influencer haben.
Auch hierfür gibt es einen neuen Begriff: Von Fatshaming ist dann die Rede. Frauen haben sich zu schämen, wenn sie nicht die nach Meinung anderer erforderlichen Gardemaße mitbringen.
Religionen und Weltanschauungen haben wiederum ihre ganz eigenen Regeln. Würde beispielsweise ein bekennender Veganer dabei „erwischt“ werden, wie er Fleisch zu sich nimmt, wäre sein Schamgefühl vermutlich sehr ausgeprägt.
Der Regelübertritt liegt hier weniger in der Tatsache, dass er Fleisch isst – denn das ist gesetzlich erlaubt. Vielmehr wird sein Verhalten als scheinheilig und als Lüge interpretiert werden.
Scham als Risiko und Chance
Es gibt zwei Seiten der Medaille bei Schamgefühl. Mit Blick auf Reality Shows würde man sich wünschen, dass mehr Leute ein ausgeprägteres Schamgefühl hätten, weil der Zuschauer seinerseits schon fast körperliche Schmerzen angesichts dieses Mangels empfindet.
Und tatsächlich: Psychologische Studien weisen nach, dass beim Fremdschämen dieselben Hirnareale aktiv sind wie wenn jemand Mitleid für eine Person empfindet, die körperliche Schmerzen verspürt.
Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die sich für fast alles schämen. Im Falle von Krankheiten kann das tödliche Konsequenzen nach sich ziehen. Falsche Scham kann natürlich auch im Berufsleben stark ausbremsen. Menschen mit ausgeprägten Minderwertigkeitsgefühlen halten ihr Licht eher unter den Scheffel. Eine Beförderung ist so eher unwahrscheinlich.
Und wie viele Bewerber schämen sich zutiefst, wenn sie keine Antwort auf eine Frage im Vorstellungsgespräch haben, die sie nach eigener Einschätzung beantworten können müssten?
Dieses Beispiel zeigt allerdings gleichzeitig auch, worin die große Chance von Schamgefühl liegt: Noch bevor Sie vielleicht sämtliche Details kennen, signalisiert Ihnen Ihr Körper, dass etwas nicht in Ordnung ist. Und es zeigt Ihnen, was geändert werden sollte.
Natürlich ist nicht jeder Auslöser eines Schamgefühls so einfach zu beheben wie eine solide Vorbereitung für ein Vorstellungsgespräch. Entwickelt sich aus übertriebener Scham eine soziale Phobie, dann kann es sinnvoll sein, sich in einer intensiven Auseinandersetzung (beispielsweise durch eine Therapie) mit den Auslösern und ihrer Bewältigung zu beschäftigen.
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