Perspektivwechsel: Wie geht das denn?
Laut Definition ist ein Perspektivwechsel (gebräuchlich auch: „Perspektivenwechsel„) nichts anderes, als eine Veränderung der eigenen Sichtweise, um ein bestehendes Problem zu lösen.
Die Idee dahinter: Wer nicht weiter kommt, sucht die Lösung durch einen anderen Blickwinkel und gewinnt so – buchstäblich – eine völlig neue Sicht. Durch das Verändern der Anschauung bekommen wir Anregungen zur Problemlösung oder neue Einsichten, die wir mit den bisherigen Denkweisen und Bewertungen nicht (so schnell) hätten finden können.
Perspektivwechsel Synonyme
Häufige Synonyme sind: Gesinnungswandel, andere Betrachtungsweise, neue Anschauung, Standpunktveränderung. Kurz: Es geht bei einem Perspektivwechsel darum, bekannte Dinge in neuem Licht zu sehen, subtile Unterschiede wahrzunehmen oder neue Eigenschaften an einer Person oder einer Sache zu erkennen.
Das Problem hinter dieser Bedeutung: Damit ein Perspektivwechsel möglich wird, muss die eigene Sichtweise zunächst als beschränkt, verengt oder gar „falsch“ erkannt werden. Voraussetzung für einen Perspektivwechsel ist die Erkenntnis: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ sowie die Offenheit und Bereitschaft, sein Denken verändern zu lassen. Wer nur Recht behalten oder sich in seiner Weltanschauung bestätigt sehen will, ist zu einem Perspektivwechsel nicht fähig.
Oder wie ein Sprichwort fragt: „Was will der Blinde mit einer Laterne?“
Warum ist der Perspektivwechsel manchmal so nötig?
Der Mensch ist ein Meister der Selbsttäuschung und des Selbstbetrugs. Geht es um uns selbst, unsere Fähigkeiten, das eigene Leben, die Karriere (oder all die doofen anderen), erschaffen wir uns regelmäßig eine Scheinwelt, die mit der Wirklichkeit so viel gemein hat wie Marschmusik mit Heiterkeit. Ein Zustand wie in Trance.
Aus diesem Selbstbetrug entstehen gefährliche Illusionen. Nicht selten sogar eine „royale“ Mentalität mit Hang zum Dogmatismus – Deutungshoheiten, unantastbare Bewertung- und Beurteilungsmonopole inklusive. „So ist das! Und bitte nicht anders! Ich weiß das ganz genau!“, schreit es immer wieder aus Social-Media-Kommentaren. Ebenso aus zahllosen Basta-Debatten in der Politik, Wirtschaft und natürlich auch im Job.
Erfolg macht besofffen
Das Bescheidwisser-Gen steckt in uns allen. Manche nennen das auch „Filterblase“ oder selektive Wahrnehmung.
Hinzu kommt: Macht macht blind. Erfolg aber auch. In der Psychologie heißt das Phänomen Ikarus-Effekt: Weil wir denken, wir wüssten es besser, blenden wir Kritik und negative Informationen aus und glauben an die generelle Gültigkeit zweifelhaft abgeleiteter Regeln. Oder schlimmer: Wir verlassen uns auf unsere bisherigen Erfolge, Motto: „Das hat schon immer so geklappt…“
Geistige Flexibilität einer Betonschwelle
Besonders Top-Manager sind davon betroffen. Schließlich sind sie mit ihrem Können bis hierher aufgestiegen. Doch das hohe Maß an Schmeicheleien und Meinungskonformität, das diese Hochstatus-Manager empfangen, kann „zu selbstverstärkenden und nicht mehr hinterfragten Erkenntnissen“ führen, warnen etwa Ithai Stern von der Kellogg School of Management sowie Hyun Park und James D. Westphal von der Universität von Michigan.
Ihren Untersuchungen zufolge führen und entscheiden diese Manager dann in einer Art „Übergewissheit und Übervertrauen“ in ihre eigenen Fähigkeiten – und verlieren zugleich die Fähigkeit, Probleme mit der aktuellen Strategie zu erkennen und zu korrigieren.
Das geht auch anderen hin und wieder so. Wir neigen – leider – alle dazu, zuweilen recht engstirnig zu sein und die geistige Flexibilität einer Betonschwelle zu pflegen. Oder wie es der Kölner Immunologe und Aphoristiker Gerhard Uhlenbruck einmal formuliert hat: „Was sich manche Menschen selber vormachen, macht ihnen so schnell keiner nach.“
Gegen den trüben Blick hilft keine Brille. Ein wirksamerer Ausweg ist: Scheuklappen ablegen, Perspektive wechseln. Nur ist das leichter gesagt als getan.
Warum fällt uns der Perspektivwechsel so schwer?
Das Genie Albert Einstein soll einmal gesagt haben: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Das ist ziemlich klug. Und wahr dazu. Wie oft aber handeln wir genau entgegengesetzt?
Wir beharren auf unserer Meinung, setzen auf Bewährtes, rechtfertigen dies mit Traditionen, Routinen oder Konformität. Eben weil das Gewohnte bequemer ist als das Neue, das Andere. Vor allem ist es sicherer. Scheinbar.
Offenheit reicht nicht – wir müssen umdenken WOLLEN
Ein Perspektivwechsel bedeutet eine bewusste Veränderung. Er passiert nicht zufällig, wir müssen ihn wollen, ihn aktiv suchen. Das ist anstrengend, ungewohnt. Aber auch unsicher.
Wer die Dinge willentlich mit anderen Augen sieht, riskiert immer etwas. Sicher, womöglich entdecken wir so den Schlüssel zu neuen Ideen, zu besseren, kreativen Lösungen. Aber wir verlieren auch etwas: die Sicherheit einer bislang hermetisch verschlossenen Weltanschauung, vertraute Erkenntnisse, liebgewonnene Verhaltsmuster und Gewohnheiten, vermeintliche Freunde. Wir müssen umdenken. Jetzt. Sofort.
Bei einem Perspektivwechsel reicht es nicht nur, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Die liegen oft nur im Auge des Betrachters. Wir müssen bereit sein, neue Tatsachen zu erkennen, zu akzeptieren und letztlich danach zu handeln und zu leben.
Viele haben davor Angst. Es stellt sie vor Herausforderungen. Neue Sichtweisen hinterfragen uns. Mehr aber noch: Sie verändern uns. Ob wir wollen oder nicht. Darin stecken aber auch Chancen. Marcel Proust hat es einmal so ausgedrückt: „Die besten Entdeckungsreisen macht man nicht in fremden Ländern, sondern indem man die Welt mit neuen Augen betrachtet.“
Perspektivwechsel sind auch ein Zeichen für Empathie
Die meisten denken beim Begriff „Perspektivwechsel“ an eine Art Kreativtechnik. Also eine Form der Problemlösungskompetenz: Neuer Blickwinkel, neue Lösung.
Die Perspektive lässt sich auch zwischenmenschlich wechseln. Etwa bei der Bewertung einer Situation. Beim Verständnis für unterschiedliche Verhaltensweisen. Das kann bedeuten, dass man sich in andere hineinversetzt, um sie besser zu verstehen. Ihr Denken. Ihr Argumentieren. Ihr Handeln.
Das ist klug, vor allem aber ist es ein Zeichen von Einfühlungsvermögen und damit letztlich von Empathie und sozialer Kompetenz.
Bevor wir voreilige Urteile über über andere fällen, fragen wir uns erst einmal: „Warum macht der oder die das, sagt das, meint das, glaubt das?“ Das macht Fehlverhalten zwar nicht richtig, aber erklärbar. Und machmal ist anderes Denken und Verhalten ja auch gar nicht „richtig“ oder „falsch“, sondern nur „anders“. Damit erzeugt der Perspektivwechsel nicht nur Verständnis, sondern zugleich Toleranz. Oder wie Peter Ustinov mal fein sinnierte: „Die Wahrheit ist wie ein Kronleuchter im Gerichtssaal. Alle sehen ihn, aber jeder aus einem anderen Blickwinkel.“
Tipps: So gelingt der Perspektivwechsel
Wenn unsere grauen Zellen mal wieder auf Autopilot stehen und wir in unserem Denken so verhaftet sind, dass wir vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr erkennen, dann wird es höchste Zeit, Abstand zu gewinnen, Distanz (zu sich) aufzubauen und Gedanken-Blockaden zu lösen. Wie schon erwähnt, ist dies gleichbedeutend damit, Veränderungen bewusst zuzulassen und eben keine Ängste davor zu pflegen. Aber was heißt das eigentlich „Abstand gewinnen“ und „Perspektive wechseln“? Wie geht das genau?
Die Frage ist berechtigt. Oft sind das nur vorgeschobene Floskeln. Kein echter Impetus. Gerade wenn wir im Stress stecken, hohen Leistungsdruck (aber auch „Leidensdruck“) empfinden oder emotional involviert sind, reagieren und entscheiden wir gerne impulsiv. So gar nicht rational. In dem Fall ist es immer ratsam, den sprichwörtlichen Abstand zu nehmen.
Umdenken durch Distanz und Fragen
Das muss aber nicht gleich eine überdimensionale Distanz oder sprichwörtliche Vogelperspektive sein. Oft reicht es schon, kurz innezuhalten, das Tempo rauszunehmen, einen gedanklichen Schritt zurück zu machen und sich selbst zu fragen:
- Halt! Warum denke, fühle ich gerade so?
- Stimmt das überhaupt?
- Warum will ich das jetzt machen?
- Könnte ich das auch anders sehen?
- Welche Erklärungen gibt es noch?
- Welche Optionen habe ich?
- Welche davon ist wirklich sinnvoll und zielführend?
Durch diese selbstreflektierende Distanz gewinnen wir nicht nur mehr Ruhe und Gelassenheit, sondern auch eine objektivere Sicht auf die Dinge, die uns neue Handlungsspielräume eröffnet.
Perspektivwechsel per Raikov Methode
Ein weiterer Weg, seinen Horizont zu erweitern und einen Perspektivwechsel zu vollziehen, ist die sogenannte Raikov Methode – oder „Technik des geborgten Genies“.
Der russische Psychotherapeut Vladimir Raikov nutzte die Methode mit großem Erfolg bei seinen Patienten, indem er sie zwang, in einer nicht-linearen, unüblichen Denkweise zu assoziieren. Das gelingt zum Beispiel mit Fragen wie:
- Was hätte Thomas Edison an meiner Stelle gemacht?
- Wie hätte MacGyver eine Lösung gesucht?
- Wie würde Elon Musk in der Situation vorgehen?
Die Namen sind natürlich austauschbar. Es geht auch nicht darum, wirklich herauszufinden, was Edison, MacGyver oder Musk getan hätten. Sie sollen so nur überlegen, was SIE tun würden, wenn Sie Edison, MacGyver oder Musk wären.
Die 2 Effekte des gedanklichen Mimikry
Es muss auch nicht gleich ein Genie sein. Auch ganz normale Menschen aus dem sozialen Umfeld lassen sich für solche perspektivischen Fragen nutzen:
- Wozu würden mir meine Eltern oder Großeltern raten?
- Was würde mein Vorbild jetzt tun?
- Wie würde mein Erzrivale reagieren, wenn er von meinen Plänen wüsste?
- Welchen Eindruck hätte ein Fremder, der mich beobachten könnte?
- Was würde ein ehemaliger Klassenkamerad dazu sagen?
In beiden Fällen hat das gedankliche Mimikry zwei psychologische Effekte: Es inspiriert uns. Und wir entwickeln dabei Fähigkeiten, die wir uns zuvor kaum zugetraut hätten.
Ein Perspektivwechsel verändert unser Leben
Was aber wichtiger ist: Der Perspektivwechsel verändert unser Leben. Das klingt auf den ersten Blick großspurig. Tatsächlich aber bestimmt unser Denken maßgeblich unsere Entscheidungen, unser Verhalten, unser Handeln. Betrachten wir die Welt mit anderen Augen; beginnen wir, andere Menschen besser zu verstehen und entwickeln wir einen objektiven Abstand, sorgt das nicht nur für mehr Durchblick und Weitblick.
Wir sehen mehr als wir erwarten. Und das ist Wachstum. In dem Sinne: Veni, „vidi“, vici!
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