Reziprozität: Definition, 5 Effekte + wie Sie der Gegenseitigkeit entkommen

Wie wir andere Menschen behandeln, hängt maßgeblich davon ab, wie sich diese uns gegenüber Verhalten. Die Reziprozität ist in der Psychologie ein bekanntes Phänomen und erklärt, wie menschliches Handeln von der Gegenseitigkeit beeinflusst wird. Dahinter stecken zutiefst menschliche Bedürfnisse in einem sozialen Gefüge – aber auch die Möglichkeit für Manipulation. Wir erklären, was Sie zur Reziprozität wissen müssen, welche Effekte der Gegenseitigkeit es gibt und wie Sie dem Hin und Her der Gefälligkeiten entkommen können…

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Definition: Was ist Reziprozität?

Reziprozität stammt aus der Psychologie und ist ein grundlegendes Prinzip zur Erklärung menschlichen Verhaltens. Am besten lässt es sich durch die Redewendungen „Wie du mir, so ich dir“ oder auch „Eine Hand wäscht die andere“ erklären. Im sozialen Miteinander fühlen sich viele zur Gegenseitigkeit verpflichtet.

Wer uns gegenüber freundlich ist, dem begegnen wir ebenso nett; eine nette Geste wird erwidert; tut uns jemand einen Gefallen, wollen wir auch etwas für denjenigen tun. Reziprozität funktioniert aber auch genau anders herum: Fühlen wir uns schlecht behandelt, passen wir das eigene Verhalten an und können ebenso unfreundlich reagieren.

Hinter der Reziprozität steht der Wunsch nach Balance im zwischenmenschlichen Miteinander. Wir alle wünschen uns einen ausgeglichenen Umgang. Keine einseitige Freundlichkeit, die nicht erwidert wird. Gleichzeitig will niemand ausgenutzt werden, wenn immer nur gegeben wird, ohne dass etwas zurückkommt.

Beispiele zur Reziprozität im Alltag

Im Alltag folgen wir in vielen Situationen der Reziprozität – ohne uns dessen überhaupt bewusst zu sein:

  • Worte
    In der Kommunikation zeigt sich die Reziprozität häufig: Wenn wir beispielsweise ein Kompliment bekommen, geben wir eins zurück. Selbst wenn wir vorher gar nicht daran gedacht hätten.
  • Gefälligkeiten
    Der Kollege springt uns beim Projekt zur Seite oder ein Freund hilft beim Aufbau des neuen Schranks: Einen solchen Gefallen kann kaum jemand unerwidert lassen. Wir warten nur auf die Gelegenheit, um unsererseits mit einer guten Tat zur Seite stehen zu können.
  • Geschenke
    Erhalten wir ein Geschenk zum Geburtstag oder zu Weihnachten, ist es selbstverständlich, demjenigen ebenfalls etwas zu schenken.
  • Werbung
    Das Marketing hat die Macht der Reziprozität längst erkannt und nutzt sie, um Kunden zum Kauf zu animieren. Kleine, kostenlose Proben im Supermarkt führen dazu, dass Kunden häufiger das Produkt kaufen. Dahinter steht keine Großzügigkeit von Unternehmen, sondern gezielte Marketingstrategie zur Beeinflussung des Kaufverhaltens.
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5 Effekte der Reziprozität

Das Verhalten gemäß der Reziprozität ist in jedem Menschen verankert. Wie das obige Beispiel der Werbung zeigt, kann es aber zur Manipulation genutzt werden. Ohne es zu merken, tun wir genau das, was andere wollen – weil diese vorher ein bestimmtes Verhalten gezeigt haben. Um sich zu schützen, muss man die fünf Effekte der Reziprozität kennen:

Schuldgefühle

Reziprozität lebt in erster Linie von Schuldgefühlen. War jemand besonders nett, hat uns geholfen oder etwas kostenloses gegeben, haben wir das Gefühl, demjenigen etwas schuldig zu sein. Dieses Gefühl soll schnell gelöst werden – also setzen wir alles daran, unsere Schuld zu begleichen.

Sympathie

Hier gibt es gleich zwei Effekte: Zeigt sich jemand uns gegenüber besonders freundlich, ist er uns ohnehin schon sympathischer. Verstärkt wird dies, wenn wir im Anschluss selbst um einen Gefallen gebeten werden. Psychologisch wird das durch den sogenannten Benjamin-Franklin-Effekt erklärt: Demnach entwickeln wir größere Sympathie, wenn wir um einen Gefallen gebeten werden.

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Lesetipp: Sympathie durch den Benjamin-Franklin-Effekt

Selbstwertgefühl

Anderen helfen zu können, stärkt das eigene Selbstwertgefühl. Es zeigt schließlich, dass wir wichtig sind, Fähigkeiten besitzen, mit denen wir weiterhelfen können und dass jemand unsere Hilfe möchte und schätzt. Umso leichter ist es aber auch, manipuliert und ausgenutzt zu werden. Schon ein vergleichsweise kleiner Gefallen kann reichen, um im Gegenzug eine große Gegenleistung einzufordern. Weil es dem Selbstwertgefühl gut tut, fallen wir darauf hinein.

Sozialgefühl

Wir kennen alle das Gefühl, etwas tun zu müssen, weil es von uns erwartet wird. Solche sozialen Normen und Erwartungen spielen eine große Rolle für die Reziprozität. Als soziales Wesen ist der Mensch bestrebt, dazuzugehören und sich an die Gesellschaft anzupassen. Also verhalten wir uns so, wie wir glauben, dass andere es von uns erwarten.

Schutzmechanismus

Reziprozität hat aber auch einen sehr positiven Effekt: Da wir ein Radar für Gegenseitigkeit haben, merken wir oft, wenn das Geben und Nehmen aus dem Gleichgewicht gerät. Kommt immer wieder derselbe Kollege, der uns dauerhaft um einen Gefallen fragt, fällt uns die fehlende Balance auf – wir fühlen uns ausgenutzt und ändern unser Verhalten.

Denn auch das ist Reziprozität. Fühlen wir uns von einem anderen Menschen schlecht oder unfair behandelt, reagieren wir genauso. Es ist ein Bestrafungsmechanismus, mit dem wir zeigen, dass wir so nicht mit uns umgehen lassen.

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So entkommen Sie der Reziprozität

Sind wir der Reziprozität hilflos ausgeliefert und können nichts dagegen tun, dass diese zur Manipulation genutzt wird? Zum Glück nicht! Der erste Schritt ist bereits getan, wenn man sich die obigen Effekte vor Augen führt und versteht, warum und in welchem Ausmaß das eigene Handeln von dem Prinzip der Gegenseitigkeit geprägt wird.

Auch sollte nicht stets Manipulation und Böswilligkeit unterstellt werden. Oft ist ein Gefallen auch einfach genau das: Eine nette Geste, an die keinerlei Erwartungen geknüpft sind. Trotzdem ist es wichtig zu wissen, wie man der Reziprozität entkommt:

  • Gefälligkeiten ablehnen
    Es ist schwierig, doch warum nicht sagen: „Nein danke, ich brauche gerade keine Hilfe.“ Wenn das Gefühl besteht, dass jemand mithilfe der Reziprozität manipuliert und zum eigenen Vorteil beeinflusst, kann so ein Riegel vorgeschoben werden.
  • Nicht aus Schuldgefühlen handeln
    Vor einem Gefallen oder einer Entscheidung sollte die Frage stehen: Handele ich gerade nur aus Schuldgefühlen? Wir fühlen uns vielleicht dazu gezwungen, etwas zu tun, haben aber die Wahl, uns dagegen zu entscheiden. Schuldgefühle sind keine guten Ratgeber.
  • Gegenseitigkeit ignorieren
    Auch eine gute Möglichkeit: Sich über die Nettigkeit, die Hilfe oder ein kostenloses Produkt freuen und gezielt gar nichts zurückgeben. So wird das Konzept umgedreht. Statt manipuliert und ausgenutzt zu werden, nutzt man selbst die Vorleistung aus. Dafür braucht es aber größte Sicherheit, dass der andere wirklich böswillig gehandelt hat – sonst präsentiert man sich selbst als sehr unsympathisch.
  • Reziprozität ausschließen
    Zu guter Letzt: Reziprozität lässt sich ausschießen und überwinden, wenn diese offen angesprochen wird. Schon ein einfaches „Ich möchte aber nicht in deiner Schuld stehen“ kann ausreichen und hilft im Nachhinein, sich später nicht zu einer Gegenleistung gezwungen zu fühlen. Andersherum kann selbst gesagt werden, dass man im Gegenzug nichts erwartet.
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Was passiert, wenn Reziprozität fehlt?

Als Grundprinzip im menschlichen Handeln ist die Reziprozität fast bei allen Interaktionen zwischen Menschen zu beobachten. Wie so oft gibt es von dieser Regel jedoch einige Ausnahmen. Manche Menschen halten sich nicht an das Gegenseitigkeitsprinzip. Manchmal unbewusst aufgrund der eigenen Persönlichkeit, manchmal gezielt zur Manipulation, um sich einen Vorteil zu verschaffen. In beiden Fällen gilt: Fehlt die Reziprozität, gerät das soziale Miteinander aus der Balance.

Das hat Konsequenzen. Menschen mit einem ausgeprägten Helfersyndrom beuten sich regelrecht selbst aus. Sie geben immer, helfen bei jeder Gelegenheit, können nicht Nein sagen. Sie suchen keine Reziprozität, sondern opfern sich für andere auf – bis zur eigenen Erschöpfung oder gar bis in einen Burnout.

Ebenso fehlt das Gleichgewicht, wenn jemand nur nimmt, ständig Gefallen einfordert, um Hilfe bittet und im Gegenzug rein gar nichts zurückgibt. Solch ein Verhalten bleibt nicht lange unbemerkt, auch wenn Ausnutzer um keine Ausrede und fadenscheinige Erklärung verlegen sind.

Mögliche Folgen

  • Frust
    Das fehlende Balance zeigt sich zuerst in wachsender Frustration. Gerät die Beziehung durch einen Mangel an Gegenseitigkeit aus dem Gleichgewicht, fühlt sich eine Seite ausgenutzt und schlecht behandelt. Oft staut sich der Frust lange auf, bis es zur Eskalation kommt.
  • Streit
    Ein Streit ist auf lange Sicht unausweichlich, wenn die Reziprozität ausbleibt. Wer ständig nimmt, ohne zu geben, schafft enormes Konfliktpotenzial. Niemand lässt sich dies lange gefallen und bringt den eigenen Wunsch nach mehr Gegenseitigkeit offen zur Sprache.
  • Selbstzweifel
    Einige Menschen reagieren mit Selbstzweifeln, wenn sie keine Reziprozität erfahren. Man fragt sich: Habe ich was falsch gemacht? Warum verhält der andere sich mir gegenüber so? Dies ist beispielsweise der Fall, wenn man selbst versucht immer freundlich und offen zu sein, aber stets auf Ablehnung und unfreundliche Antworten stößt.
  • Trennungen
    Reziprozität ist ein soziales Schmiermittel. Sie sorgt dafür, dass zwischenmenschliche Beziehungen funktionieren und beide Seiten sich wohl fühlen. Bedeutet in letzter Konsequenz: Fehlt das Prinzip der Gegenseitigkeit, kommt es zur Trennung. Gemeint sind damit nicht unbedingt romantische Beziehungen, sondern das Beenden von Kontakten im Allgemeinen.

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