Stigma Definition: Was ist ein Stigma – einfach erklärt?
Der Begriff Stigma stammt aus dem Griechischen und Lateinischen und bedeutet wörtlich übersetzt so viel wie Zeichen, Stich-, Wund- oder Brandmal. Hierbei kann es sich um körperlich auffällige Merkmale handeln. Ebenso gut kann ein Stigma aber auch ein Zeichen im übertragenen Sinn sein. Stigmatisierung ist der Prozess des Wertverlustes beziehungsweise der Einordnung in eine bestimmte Kategorie aufgrund so eines Merkmals.
Stigma Beispiele
Die Bedeutung schwankt je nach Bereich beziehungsweise Wissenschaft:
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Religiöse Bedeutung
In der christlichen Religion bezeichnet Stigma ein Wundmal Jesu Christi durch die Kreuzigung. Heute noch werden Nachbildungen dieser Wundmale am Körper eines Menschen (etwa blutende Handinnenflächen) am Körper eines Menschen als Stigmatisation bezeichnet.
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Körperliches Zeichen
Im allgemeinen Sprachgebrauch kann Stigma ein auffälliges Merkmal sein, das viele negativ bewerten. Als Beispiel dafür können Leberflecken oder Warzen gelten. Körperliche Auffälligkeiten, die für den Betroffenen ein Stigma darstellen und zur Ausgrenzung beitrugen, findet man in der Figur des Glöckners von Notre Dame, der missgestaltet ist.
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Moralische Bedeutung
Stigma in der moralischen Bedeutung kann ebenfalls äußerlich sein, allerdings ist es im Gegensatz zu körperlichen Missbildungen oder Makeln durch die Gesellschaft zugefügt. Als Beispiel hierfür können drakonische Strafen in früherer Zeit gelten, etwa gebrandmarkte Sklaven oder das Schlitzohr bei Handwerksgesellen, die sich etwas zuschulden haben kommen lassen. Auslöser hier ist unehrenhaftes Verhalten, das die Gesellschaft entsprechend sanktioniert.
Stigma Synonym und Bedeutung
Das heute weitverbreitete Verständnis von Stigma und Stigmatisierung hat vor allem der kanadische Soziologe Ervin Goffman maßgeblich geprägt. Ein Stigma (Plural: Stigmata) kann ein von Geburt an auffälliges Merkmal sein. Es kann aber auch in Form von Strafe nachträglich von außen hinzugefügt worden sein. In dem Fall ist Schandmal ein Synonym zu Stigma.
Was versteht Goffman unter Stigma?
Goffman dazu: „Die Zeichen wurden in den Körper geschnitten oder gebrannt und taten öffentlich kund, dass der Träger ein Sklave, ein Verbrecher oder ein Verräter war – eine gebrandmarkte, rituell für unrein erklärte Person, die gemieden werden sollte, vor allem auf öffentlichen Plätzen.“
Dieses Merkmal unterscheidet seinen Träger in unerwünschter Art von der Mehrheitsgesellschaft. Es dient somit als Mahnung (für ein ehrenhaftes Leben) und Warnung (vor den jeweiligen Personen) gleichermaßen. Außerdem sticht ein Stigma derart heraus, dass alle anderen Eigenschaften dieser Person dahinter zurücktreten. Goffman zufolge entsteht eine Diskrepanz zwischen der erwarteten („virtuellen“) und der tatsächlichen („aktuellen“) sozialen Identität einer Person.
Stigma und Stigmatisierung: Prozess der Ausgrenzung
Problematisch ist weniger das Merkmal an sich das, sondern die negative Definition dessen. Ein Merkmal wie beispielsweise Arbeitslosigkeit oder eine psychische Erkrankung wird dadurch zum Stigma, dass andere es als Normabweichung interpretieren. Dies begünstigt weitere negative Zuschreibungen der betroffenen Person. Objektiv betrachtet haben diese Zuschreibungen entweder maximal einen geringen Bezug zum Merkmal oder entsprechen überhaupt nicht den Tatsachen.
Diese Generalisierung ist ein Prozess, bei jemand ein Merkmal mitsamt seiner Bedeutungen auf die komplette Person überträgt. Dies nennt sich Stigmatisierung. Zusätzlich zu dem Merkmal, das für den Betroffenen ein reales Problem darstellen kann, kommt nun die Konfrontation mit Stereotypen und Vorurteilen. Betroffene erfahren plötzlich Diskriminierung. Menschen aus ihrem Umfeld wenden sich von ihnen ab oder sie haben anderweitige Nachteile, die konkret aus diesem Stigma und der Stigmatisierung resultieren.
Stigmatisierung psychisch Kranker
Stigmatisierung lässt sich am Beispiel psychischer Erkrankungen illustrieren. Dieser Prozess der Ausgrenzung findet auf verschiedenen Ebenen statt:
- bei sozialen Kontakten
- auf der Arbeit
- in der Nachbarschaft
- durch politische Entscheidungen
Depressionen sind nach wie vor ein Makel. In beruflichen Zusammenhängen ist es deutlich vorteilhafter, von Burnout oder Überlastung zu sprechen – wenngleich die Ursachen längst nicht dieselben sind. Aber beide Begriffe werden quasi synonym verwendet und sind gesellschaftlich akzeptiert.
Dahinter steckt die Vorstellung, wer viel arbeitet, darf auch erschöpft oder ausgebrannt sein. Depressionen haftet oftmals der Vorwurf der Selbstverschuldung an oder dass der Betroffene sich gar „anstellt“. Bei der Diagnose „Depression“ kann es also passieren, dass (vermeintliche) Freunde und Kollegen sich abwenden. Auch andere Benachteiligungen sind möglich. Etwa indem eine Krankenkasse bestimmte Kassenleistungen streicht oder der Staat psychische Erkrankungen sanktioniert: So beispielsweise bei angehenden Lehrern. Die müssen um ihre Verbeamtung fürchten, wenn sie sich vorab in eine Psychotherapie begeben.
Stigmatisierung von Arbeitslosen
Das Beispiel Arbeitslosigkeit ist ein Stigma, das auf vielen Ebenen wirkt und jeden betreffen kann. Ihm wohnt eine moralische Bedeutung inne, die sich sogar äußerlich auswirken kann. Ein weit verbreiteter Stempel ist der des „Sozialschmarotzers“. Denn Arbeitslose erhalten Geld von der Gemeinschaft. Was viele Ankläger ausblenden: Die Betroffene haben selbst zuvor in diese Arbeitslosenversicherung eingezahlt. Und manchmal sind es die Umstände: Schließlich ist nicht jede Kündigung personenbedingt.
Der österreichische Volkskundler Johannes Moser sieht die Schuld für diese Einschätzung bei Studien, die behaupten, dass Arbeitslosigkeit oftmals selbstverschuldet sei und die materielle Absicherung der Arbeitslosen durch den Staat dies noch begünstige. Zusätzlich zu seiner Arbeitslosigkeit muss sich also ein Stigmatisierter noch mit Vorwürfen herumschlagen, dass er seinen Jobverlust selbst verursacht hätte – weil er das Falsche studiert oder gelernt hat, nicht rechtzeitig die Entwicklung am Arbeitsmarkt beobachtet hat, zu wenig Bewerbungen schreibt oder dergleichen mehr.
Diese moralische Bedeutung kann sich im Fall von Arbeitslosigkeit zu einem äußeren Merkmal entwickeln: Ein Arbeitsloser hat – besonders im Falle von Langzeitarbeitslosigkeit – weniger Geld zur Verfügung. Damit wird die soziale Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt: Weniger Restaurant- und Kinobesuche, keine Urlaube, keine Statussymbole.
Das können Sie gegen Stigmatisierung tun
Es gibt Merkmale, die Menschen als Stigma empfinden, gegen die Sie nichts tun können. Wer beispielsweise einer stigmatisierten Ethnie angehört, kann dieses Merkmal nicht ändern. Ebenso wenig wie ein Blinder plötzlich wieder sehen kann. Andere Stigmata wie Erkrankungen oder Arbeitslosigkeit müssen nicht von bleibender Dauer sein. Egal, um welches Stigma es sich handelt: Sie können nicht Ihr Umfeld ändern. Aber Sie können an sich arbeiten und lernen, damit umzugehen. Beispielsweise durch diese Tipps:
Üben Sie Selbstakzeptanz
Der vielleicht wichtigste und zugleich schwierigste Punkt ist Selbstannahme. Zu sich zu stehen, den (derzeitigen) Zustand zu akzeptieren und sich selbst dennoch als liebenswert zu erachten. Als wertvolles Mitglied der Gesellschaft, auch ohne Arbeit/mit psychischen Problemen/mit Behinderung…, das mit seinen Schwächen und Stärken so sein darf, wie es ist. Das bedeutet, die eigenen Minderwertigkeitsgefühle zu überwinden, sich aus dem herauszulösen, was vermeintlich „Norm“ ist und nicht in dem Versuch der ständigen Selbstoptimierung zu scheitern.
Bewahren Sie Authentizität
Es ist schwer bei Themen, die ein Tabu betreffen, immer absolut transparent zu sein. Hier lässt sich auch kein genereller Rat geben, denn wie Sie mit einem Stigma umgehen, ist abhängig von der Situation und den umgebenden Menschen sowie deren Rolle. Einem potenziellen Arbeitgeber verhält man sich sicherlich anders gegenüber als einem Freund. Dennoch sollte sich kein Mensch verbiegen müssen – Kompromisse bis zu einem gewissen Grad sind etwas anderes. Freunden gegenüber sollte es möglich sein, authentisch zu sein, Probleme anzusprechen. Echte Freunde hingegen sollten sich auch bei heiklen Punkten Toleranz üben und sich zumindest offen zeigen.
Suchen Sie Hilfe
Weil sich Betroffene aufgrund Ihres Stigmas so schämen, verheimlichen sie es häufig. Sie lehnen nicht nur Hilfe anderer ab, sondern suchen ihrerseits keine Unterstützung. Dabei gibt es zahlreiche Hilfsangebote. Suchtkranke können beispielsweise bei den Anonymen Alkoholikern oder anderen Suchtberatungsstellen Hilfe finden. Telefonseelsorgen können für Menschen mit psychischen Problemen eine erste Anlaufstelle sein. Stigmatisiert fühlt sich womöglich auch der Jungunternehmer, der mit seiner Firma eine Bruchlandung hingelegt hat – dass das nicht das Ende bedeuten muss, kann er bei den Fuckup Nights erfahren.
Bilden Sie Netzwerke
Wer unter einem Stigma leidet, läuft Gefahr, sich im Kontakt mit „Normalen“ ständig zu verstellen. Dieses Stigma-Management ist auf Dauer nicht nur anstrengend, es ist ungesund. Und es verstellt den Blick für die Realität: Zu denken, dass alle anderen normal sind, nur man selbst nicht, ist eben nur ein kleiner Ausschnitt. Daher gilt für von Stigmata Betroffene immer: Netzwerken! Egal, ob Sie arbeitslos, krank, homosexuell oder anderweitig von der breiten Masse abweichend sind – in dem Moment, in dem Sie sich mit Gleichgesinnten beziehungsweise anderen Betroffenen austauschen, werden Sie merken, dass Sie nicht allein sind.
Folgen für die Betroffenen
Die Folgen eines Stigmas können gravierend sein und wirken sich im schlimmsten Fall auf das ganze Leben von Stigmatisierten aus.
Stigmatisierte suchen ihre Identität
Wer mit einem körperlichen Stigma, beispielsweise einer Behinderung, geboren wurde, hatte Zeit sich mit diesem auseinanderzusetzen. Stigmata wie eine psychische Erkrankung oder Arbeitslosigkeit hingegen können ganz plötzlich jemanden betreffen.
Bei einem „neu erworbenem“ Stigma muss sich die Person mit ihrer neuen Situation auseinandersetzen, für sich eine Identität finden. Das ist deshalb so schwierig, weil die neu Stigmatisierten mit denselben Normen und Werten, aber eben auch Vorurteilen und Vorbehalten aufgewachsen sind, denen sie sich nun ausgesetzt sehen.
Stigmatisierte betreiben Stigma-Management
Viele Betroffene legen sich eine Strategie zurecht, um im Umgang mit anderen Menschen überleben zu können. Denn das Wichtigste für den Menschen als soziales Wesen ist der Kontakt zu anderen Menschen. Die Ablehnung durch Nichtbetroffene führt bei den Stigmatisierten zu Unsicherheit und Angst. Die eingeschränkte soziale Teilhabe hat sogar existenzielle Auswirkungen, etwa wenn durch Rollenverlust gesellschaftliche oder berufliche Positionen verwehrt werden.
Stigmatisierte versuchen alles Erdenkliche, um nicht als solche aufzufallen. Manche Arbeitslose verlassen beispielsweise früh morgens das Haus und kommen spät zurück, um ihre Arbeitslosigkeit zu verschleiern. Goffman spricht hier von Stigma-Management der Betroffenen, die letztlich nichts weiter von der Gesellschaft wollen als Anerkennung und Sympathie, so angenommen zu werden, wie sie sind.
Stigmatisierte geraten in einen Teufelskreis
Wie eingangs erwähnt, wissen viele Betroffene um das Stigma mitsamt seinen Vorurteilen nur zu gut. Für Betroffene eine doppelte Belastung: Wer nun arbeitslos ist und sich darum kümmern muss, mit weniger Geld klarzukommen und gleichzeitig einen neuen Job zu finden, bekommt gleichzeitig das veränderte Verhalten einiger Mitmenschen ihm gegenüber zu spüren und muss auch das noch kompensieren.
Von psychischen Erkrankungen Betroffene bekommen durch das Stigma quasi eine „zweite Krankheit“ dazu. Die Folgen sind allerdings noch gravierender. So sind sie im stärkeren Maß von Arbeitslosigkeit betroffen. Weitere Folgen können Armut und sogar Obdachlosigkeit sein. Die finanzielle Situation wirkt sich wiederum auf die Ernährung und die Gesundheitsvorsorge aus, so dass eine geringere Lebenserwartung die Konsequenz sein kann.
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