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Unverschämtheit: Warum einige damit durchkommen

Es gibt Kollegen, die lügen und betrügen, tricksen und täuschen – und die damit offensichtlich immer wieder durchkommen. Woran liegt es, dass bei Unverschämtheit keine Konsequenzen folgen? Neue Forschungsergebnisse legen nahe: Wer im Job Top-Leistungen bringt, handelt im Folgenden nicht nur häufiger unmoralisch, sondern wird auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit dafür bestraft. Mit anderen Worten: Wer unverschämt gut ist, darf auch unverschämt auftreten. Über die Gründe dafür hier mehr…



Unverschämtheit: Warum einige damit durchkommen

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Unverschämtheit Bedeutung: Was ist das eigentlich?

Als Unverschämtheit (englisch: impertinence, brazenness) oder unverschämtes Verhalten beurteilen wir, wenn eine Person sich etwas herausnimmt, was ihr nicht zusteht.

Etwa, wenn jemand seinen Vorgesetzten duzt, ohne jemals das Du angeboten bekommen zu haben, könnte als Unverschämtheit aufgefasst werden. Erst recht dürfte selbstherrliches Entscheiden dazu gehören: Wenn jemand sich Befugnisse aneignet, Anordnungen erteilt, obwohl er qua Position dazu nicht berechtigt ist.

Unverschämtheit hat viele Synonyme:

  • Ärgernis
  • Chuzpe
  • Dreistigkeit
  • Frechheit
  • Gemeinheit
  • Impertinenz
  • Pampigkeit
  • Patzigkeit
  • Respektlosigkeit
  • Schamlosigkeit
  • Skandal
  • Ungehörigkeit
  • Ungezogenheit
  • Unverfrorenheit
  • Zumutung

Je nach Kontext und in welcher Position eine Person zu derjenigen steht, der sie Unverschämtheit vorwirft, können die synonym verwendeten Begriffe sogar anerkennend gemeint sein, etwa wenn man von jemanden sagt, dass er Chuzpe besäße.

Dabei ist unverschämtes Verhalten so alt wie die Menschheit selbst. Klagen – gerne von Älteren über die Jugend – sind selbst von antiken Philosophen überliefert. Von Sokrates stammt dieses Zitat:

Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.

Andererseits muss man ganz klar sagen, dass Unverschämtheit kein Privileg der Jugend oder Vorrecht eines Geschlechts wäre.

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Warum Unverschämtheiten oft toleriert werden

Unverschämtheiten – und dazu kann man verschiedenste Regelverstöße rechnen – gibt es quer durch alle Altersgruppen. Der eine oder andere wird sich mal dabei ertappt haben, wie ein Papier aus der Tasche fiel und man hat es nicht ordnungsgemäß entsorgt.

Oder man fährt noch ganz schnell bei „lila“ über die Ampel. Im Normalfall meldet sich sofort das schlechte Gewissen, denn eigentlich wissen wir genau: Das Papier gehört in den Mülleimer und wer bei gerade rot über die Ampel fährt und erwischt wird, darf noch mit ganz anderen Konsequenzen rechnen.

Doch wie sieht es mit Verstößen gegen die Norm denn genau aus – wann werden sie geahndet, wann nicht? Bettina Rockenbach, Verhaltensökonomin der Universität Köln, und ihr Team wollten das genauer wissen und starteten mit Schauspielerinnen an Kölner Bahnhöfen ein Experiment:

  • In einem ersten Versuch ließen die engagierten Schauspielerinnen kleinere Gegenstände, etwa einen Coffee-to-go-Becher, auf das Bahngleis fallen.

    Reaktion: Nur wenige Rückmeldungen von anderen Reisenden, das Höchste waren Kopfschütteln und / oder ein demonstratives Zeigen auf den Mülleimer.

  • Im nächsten Versuch steigerten die Wissenschaftler die Unverschämtheit. Die Schauspielerinnen entsorgten nun ganze Mülltüten am Bahnsteig.

    Reaktion: Auch hier kein großer Aufruhr, das Verhalten der Umherstehenden war nicht besonders anders als bei kleineren Umweltsünden.

Wie kann das sein? Dem normalen Gerechtigkeitsempfinden nach müsste man erwarten können, dass größere Unverschämtheiten erst recht geahndet werden. Aber: In nur 15 Prozent aller Fälle unternahmen die Beobachter etwas gegen das Verhalten des Regelbrechers.

Bettina Rockenbach kommt in ihrer Studie zu folgender Erklärung: Die Beobachter haben Angst vor denjenigen, die durch Unverschämtheit auffallen. Die Rechnung dahinter ist, je heftiger der Regelverstoß, desto heftiger auch bei Beschwerden die Gegenreaktion.

Um sich davor zu schützen, gucken die Beobachter lieber weg – oder bei noch stärkeren Auswüchsen – baut man auf die Polizei.

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Unverschämtheit: Wie dreist kann man sein?

Unverschämtheit begegnet man auch im Arbeitsalltag. In der Filmbiografie Catch me if you can spielt Leonardo DiCaprio den Hochstapler Frank Abagnale. Abagnale entwickelt früh im Leben kriminelle Energie, betrügt, fälscht Schecks. Er gibt sich erfolgeich als Pilot aus, dann als Arzt und als Anwalt – ohne auch nur annähernd über die notwendigen Qualifikationen zu verfügen.

Aber er spielt seine Rollen so überzeugend, dass er verblüffend lange mit dieser Masche durchkommt. Man könnte sagen, er performt gut. Er ist unmoralisch, aber erfolgreich. Das scheint ohnehin eine Kombination zu sein, die irgendwie zusammengehört.

Wissenschaftler der Baylor-Universität in Texas haben nun untersucht, unter welchen Voraussetzungen unmoralisches Verhalten am Arbeitsplatz toleriert oder abgelehnt wird. „Unsere Forschung fokussiert sich auf die Frage, ob die Kompetenz von Menschen in einem Unternehmen wichtiger ist als ihre Moral“, so Hauptautor Matthew J. Quade, Management-Professor an der Hankamer School of Business von Baylor.

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Macht Leistung unmoralisch?

Dafür untersuchten die Forscher in drei Studien insgesamt 1.040 Menschen – darunter 300 „Probanden-Pärchen“, bestehend jeweils aus einem Vorgesetztem und einem unterstellten Arbeitnehmer. Ihre wesentlichen Ergebnisse, die im Fachjournal „Personnel Psychology“ veröffentlicht wurden:

  • Bringt ein Arbeitnehmer gute Leistungen im Job, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass man ihm die Verletzung ethischer Standards durchgehen lässt.
  • Auf der anderen Seite werden unmoralische Menschen mit höherer Wahrscheinlichkeit sanktioniert, wenn sie schlechte Leistungen abrufen.
  • In dieser Hinsicht gibt es bezüglich der Geschlechter sowie der Unternehmenskultur keinerlei Unterschiede.

„Unmoralische, leistungsstarke Arbeitnehmer sind von zweischneidigem Wert für das Unternehmen“, schreiben die Wissenschaftler. „Ihr unmoralisches Verhalten kann einerseits schädlich sein, aber ihre guten Leistungen sind andererseits sehr wichtig für den Erfolg des Unternehmens. In diesem Zusammenspiel hebt Leistung unmoralisches Verhalten insofern auf, dass die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass der Arbeitnehmer bestraft wird.“

Wer bei der Arbeit also zu den Leistungsträgern zählt, viel verkauft, gut präsentiert, kann sich schlicht mehr herausnehmen. Wer hingegen nicht durch gute Leistung besticht, bekommt umso schneller Probleme, wenn er sich asozial verhält.

„Sie missachten moralische Normen, aber sie erfüllen auch ihre Rollenerwartungen nicht, wodurch es schwieriger wird, mit ihnen zusammenzuarbeiten“, so die Forscher. „Von den anderen wird dann erwartet, dass sie das Verhalten dieser Kollegen, die Konflikte erzeugen, aktiv missbilligen, indem sie sie ausschließen.“

Überlegenheitsgefühl: Gewinner betrügen häufiger

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kamen vor Kurzem die Untersuchungen der Ben-Gurion-Universität des Negev (BGU) und der Hebräischen Universität Jerusalem in Israel, die in „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht wurden.

„Wir wissen bereits, dass manche Politiker und Geschäftsleute häufig zu unethischen Mitteln greifen, um zu gewinnen, wie das zum Beispiel beim jüngsten Volkswagen-Skandal der Fall war“, so Amos Schurr, Dozent an der Guilford Blazer Faculty of Business and Management an der BGU. „Bei unserer Forschung konzentrierten wir uns auf die Frage, wer im Anschluss häufiger unmoralisch handelt – Gewinner oder Verlierer?“

Dazu führten sie mehrere Studien durch, von denen eine zeigte: Wer zuvor einen Wettbewerb gewonnen hatte, stahl in einer darauffolgenden, völlig unabhängigen Aufgabe seinen Kollegen mit höherer Wahrscheinlichkeit Geld. Das war aber nur der Fall, wenn man zuvor eine bessere Leistung als sein Gegenüber abgeliefert hatte, nicht aber, wenn der eigene Sieg durch Glück oder Zufall zustande gekommen war.

Unmoral und Unverschämtheit: Nicht ohne Risiko

Gewinnen erzeuge demnach ein Berechtigungssdenken, eine Art Besitzanspruch, der sich auf die eigene Überlegenheit stützt. Wichtig dabei: Dieses Gefühl entwickelt man vor allem und ausschließlich, wenn man andere übertrumpft, der direkt Vergleich ist also ein entscheidender Faktor. Wenn man „nur“ das subjektive Gefühl hat, erfolgreich zu sein, sei das nicht der Fall.

Beide Forscherteams schieben aber zügig nach, dass unethisches Verhalten letztlich für alle Nachteile bringe. „Unmoralische, leistungsstarke Arbeitnehmer, ihre Arbeitsgruppen und ihre Unternehmen arbeiten auf einer falschen Grundlage, die das Potenzial hat, in sich zusammenzufallen und den Arbeitnehmern ihre Jobs und dem Unternehmen eine beträchtliche Summe Geld zu kosten“, schreiben die Baylor-Wissenschaftler.

Und die Forscher aus Israel, das große Ganze im Blick, ergänzen: „Die stärkere Tendenz zu unmoralischem Verhalten bei Gewinnern erschwert wahrscheinlich soziale Mobilität und Gleichberechtigung, verschärft Ungleichheiten in der Gesellschaft anstatt sie zu verringern.“

Und schließlich darf man nicht vergessen: Mancher Arbeitnehmer mag der festen Überzeugung sein, Herausragendes zu leisten und sich aufgrund dessen Dinge leisten zu können, liegt allerdings mit seiner Selbsteinschätzung völlig daneben. Wer sich also seinem Vorgesetzten gegenüber Unverschämtheiten herausnimmt, riskiert womöglich eine Abmahnung.

So erging es einem Arbeitnehmer, der einem Vorgesetzten ein „beschissenes Wochenende“ und einem anderem ein „Scheißwochenende“ wünschte. Besagter Arbeitnehmer, außerdem noch Vorsitzender des Betriebsrats, klagte erfolglos gegen die erfolgte Disziplinarmaßnahme: Ihm wurde neben der Abmahnung für beide Fälle die Kündigung in Aussicht gestellt.

Grundlage dieser Entscheidung ist § 241 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach der Arbeitnehmer seinem Vorgesetzten und seinen Kollegen gegenüber zur Rücksichtnahme verpflichtet ist.

Moral von der Geschicht‘: Was können Arbeitgeber tun?

Aus den obigen Erkenntnissen lässt sich ableiten, dass solche „verschärften Ungleichheiten“ Gift für den Teamgeist sind. Um aus diesem Dilemma auszubrechen, geben die Baylor-Wissenschaftler folgende Ratschläge:

  • Null-Toleranz-Politik verfolgen

    Führungskräfte sollten Verstöße gegen den Moralkodex besonders strikt und gewissenhaft ahnden. Es gelte klar zu machen, dass unmoralisches Verhalten in keinem Fall geduldet werde, unabhängig von der Leistung, der Zweck also nicht die Mittel heilige. Eine Möglichkeit sei es, Coaches anzuheuern, die den Mitarbeitern gewissermaßen Nachhilfeunterricht geben und ihnen die Relevanz des Themas näherbringen.

  • Incentives anbieten

    Konflikte am Arbeitsplatz, die auf diese Weise entstehen, bergen aber auch Risiken. Leistungsträger, die plötzlich zur Zielscheibe werden, reagieren womöglich mit Leistungsabfall und innerem Rückzug, die Motivation lässt nach. Das Baylor-Team schlägt vor, aktiv auf die Mitarbeiter zuzugehen, mit ihnen über richtige und falsche Verhaltensweisen zu diskutieren, sie vielleicht sogar dafür zu belohnen. Auch so könne man präventiv tätig werden.

[Bildnachweis: Aaron Amat by Shutterstock.com]