Warum machen Chefs überhaupt ein Gegenangebot?
Gegenangebote werden von Arbeitgebern tatsächlich recht häufig ausgesprochen: Laut Umfragen (die Zahlen variieren hier und da) unterbreiten drei von vier Managern wechselwilligen Mitarbeitern ein Gegenangebot. In der Regel bedeutet das mehr Gehalt (56 Prozent), mehr Flexibilität (46 Prozent) oder mehr Verantwortung (36 Prozent).
Doch die Offerte ist trügerisch. Sagen wir es, wie es ist: Die meisten Manager haben einen Erinnerungsdefekt. Egal, wie viel man (mehr) leistet, sich engagiert, richtig reinhängt – irgendwann empfinden Chefs das als Selbstverständlichkeit, als Leistungsstandard. Ja, der Mitarbeiter gut, vielleicht sogar besser als andere, aber das war er eben immer schon. Läuft bei dem, kann so bleiben. Danke, weitermachen.
Obwohl solche Leistungsträger eigentlich eine andere Wertschätzung verdient hätten, bekommen sie zuweilen sogar noch einen Rüffel, wenn sie sich erlauben, einmal genauso viel zu leisten wie der Durchschnitt.
Die Folgen: zunehmender Frust und irgendwann eben der Jobwechsel – mit 30, 40 oder 50. Je nachdem, wie groß die Frustrationstoleranz ist.
Sobald Sie Ihren Chef nun über Ihre Wechselabsichten informieren, wacht der auf: Stimmt, da war was?! Hat er Sie womöglich nicht genug gefördert? Wie wichtig sind Sie wirklich im Team? Was passiert, wenn Sie plötzlich weg sind?
Entsprechend die Motivation für das Gegenangebot. Dahinter stecken jedoch fast immer dieselben drei Motive:
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Schlechtes Gewissen
Ganz offensichtlich hat ein anderer Arbeitgeber (bestenfalls ein Konkurrent) Ihren wahren Wert erkannt. Das macht Sie einerseits deutlich attraktiver als vorher. Zugleich nagt an dem Vorgesetzten aber auch das schlechte Gewissen: Er hat das offenbar nicht erkannt und Sie unterschätzt – was nicht gerade für seine Führungsqualitäten spricht. Erst recht, wenn man ihm nachher anlastet, wieso er so ein Talent hat ziehen lassen.
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Hohe Kosten
Wenn Sie gehen und eine tragende Säule im Team damit wegbricht, muss die Lücke schnell wieder gefüllt werden – und das kostet Zeit und Geld: Stellenausschreibung, Kandidatenauswahl, das Risiko einer Fehlbesetzung… Genauso gut kann der Chef den Betrag nehmen (besser etwas weniger, dann rechnet es sich) und Ihnen ein Gegenangebot in Form einer Gehaltserhöhung anbieten. Da Sie ja bereits eine alternative Stelle haben und wechseln wollen, fallen die Kosten so oder so an. Jetzt kann er nur noch versuchen, diese zu senken.
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Akute Not
Womöglich ist Ihre Profession auch so spezialisiert, dass es auf dem Arbeitsmarkt nur wenige Alternativen gibt – und selbst die müsste man woanders abwerben. Je höher die Qualifikation und spezieller das Fachwissen, desto größer die Not, die Lücke (die Sie hinterlassen) zu schließen. Das steigert nicht nur die Suchkosten – es erhöht für das Unternehmen auch das Risiko, die Lücke nicht rechtzeitig und adäquat schließen zu können, sodass nicht nur Ihre ehemalige Abteilung, sondern das ganze Unternehmen darunter leidet.
Das alles sind natürlich ebenso gute Gründe für Sie, überhaupt über einen Jobwechsel nachzudenken und so Ihren Marktwert zu steigern. Zudem zeigen die drei Punkte, wie wichtig ein zunehmende Spezialisierung und Positionierung als Leistungsträger im Job ist.
Aber sollten Sie das Gegenangebot – so schmeichelhaft die damit verbundenen Aussagen auch sind – deshalb annehmen?
Besser nicht…
Warum Sie ein Gegenangebot besser ablehnen
Natürlich ist die Frage, ob Sie das Angebot annehmen oder ablehnen, stets eine, die nur Sie persönlich treffen können und sollten. Woanders muss das Gras nicht zwangsläufig grüner sein, und derselbe Erinnerungsdefekt, der Sie heute davon ziehen lässt, kann Ihnen nach ein paar Monaten im neuen Job genauso begegnen.
Sie gehen also ebenfalls ein Wagnis und eine Wette ein. Im alten, aktuellen Job wissen Sie zumindest, was Sie erwartet… Und das sind ein aufgewachter Chef, ein höheres Gehalt, Ad-hoc-Wertschätzung und die alten Kollegen, die ja auch ganz okay sind.
Auf den ersten Blick. Hinter einem Gegenangebot stecken jedoch stets auch vier Gefahren, die Sie ebenfalls im Blick haben sollten:
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Gegenangebot-Gefahr: Illoyalität
Akut umgarnt Sie der Chef, will Sie partout behalten, auch weil es für ihn bequemer ist. Doch hinter der späten Genugtuung lauert auch ein Outing: Ihre Wechselabsichten haben Sie nun offenbart, ebenso die damit verbundenen Opportunitäten. Die Loyalität zum Arbeitgeber ist also nicht mehr allzu ausgeprägt. Das vergisst ein Arbeitgeber nicht.
Und wer garantiert, dass übermorgen nicht schon der nächste Headhunter bei Ihnen anruft und ein noch besseres Angebot macht? Dann wird das für Ihren Chef immer teurer und risikoreicher. Absprungkandidaten verbauen sich so womöglich künftige Beförderungen.
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Gegenangebot-Gefahr: Wortbruch
Wie sieht es denn mit dem anderen Arbeitgeber aus? Oder hat Sie gar ein Personalberater vermittelt? Wenn Sie das Gegenangebot akzeptieren, werden Sie womöglich wortbrüchig. Das kann Ihrer weiteren Laufbahn durchaus schaden: Denn auch hier verraten Sie sich als Opportunist. Womöglich ruft Sie dieser Personalberater so schnell nicht mehr an.
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Gegenangebot-Gefahr: Hinhaltetaktik
Es kann allerdings auch sein, dass die bisherige (geringe) Wertschätzung ein Indiz für Ihren sinkenden Stern war. Ihr Jobwechsel kommt für das Unternehmen zum jetzigen Zeitpunkt zwar mehr als ungelegen, aber mit etwas mehr Zeit findet sich schon passender und günstigerer Ersatz. In dem Fall bietet man Ihnen jetzt zwar mehr – aber nur solange, bis der Ersatz gefunden ist.
Indizien dafür können sein, dass man Ihnen nicht mehr Gehalt, sondern nur einen höheren Bonus oder flexiblere Arbeitszeiten bietet. Das setzt keine Maßstäbe für die Stelle – und günstiger zu kündigen sind Sie so später noch dazu.
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Gegenangebot-Gefahr: Jobzufriedenheit
Vergessen Sie nicht: Es gab einen oder mehrere Gründe, warum Sie den Job wechseln wollten. Eine Gehaltserhöhung mag kurzfristig attraktiv sein, aber ist es das auch langfristig? Das Verhältnis zu Chef und Kollegen wird davon nicht automatisch besser, die Entwicklungsoptionen und Karriereperspektiven auch nicht. Und überhaupt: Warum schätzt man Ihre Arbeit und Leistung erst jetzt, wo Sie kündigen wollen? Am Ende muss das Gegenangebot langfristig und nachhaltig wirken, sonst ist es nur Blendwerk.
Lassen Sie sich also von der plötzlichen Charme-Offensive des Chefs nicht täuschen. Auch er hat gute (und nicht zwangsläufig selbstlose oder gar schmeichelhafte) Gründe für sein Gegenangebot. Es anzunehmen, kann kurzfristig eine Befriedigung sein. Letztlich aber sollten Sie das große Ganze im Auge behalten und damit vor allem die eigene Karriereentwicklung.
Jobwechsel: 4 Motive sind entscheidend
Die Motive mögen hier und da variieren. Aber am Ende läuft es aber immer auf vier wesentliche Fragen hinaus. Fragen, die jeder nur für sich beantworten kann, die aber eine deutliche Tendenz aufzeigen können, ob es Zeit ist, den Job zu wechseln:
- Erwarte ich innerhalb der nächsten zwölf Monate eine wichtige Rolle im Unternehmen und in der Organisation zu spielen?
- Habe ich einen (neuen) Chef, der mein Engagement wertschätzt und würdigt, der mich fördert und fordert, um mich weiterentwickeln zu können?
- Werde ich nicht nur meine Leistung, sondern auch meinen Marktwert durch meine Arbeit im neuen Job steigern können?
- Bin ich sicher, meine Fähigkeiten und Talente optimal einsetzen zu können, um nicht zuletzt den Wandel signifikant und aktiv zu begleiten, zu gestalten und den Herausforderungen begegnen zu können?
Selbsttest zum Jobwechsel
Sie sind noch immer unsicher? Zwar sind Sie unzufrieden und spielen mit dem Gedanken, den Job zu wechseln, aber genau wissen Sie es nicht? Dann machen Sie unseren kurzen Selbsttest. Die Fragen darin können Ihnen ebenfalls dabei helfen, klarer zu sehen und regen dazu an, sich intensiver mit der eigenen Situation auseinander zu setzen. HIER geht’s zum Test.
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