Definition: Was bedeutet Naivität?
Naivität leitet sich von dem Adjektiv „native“ ab, was so viel wie „gebürtig, ursprünglich“ oder „kindlich“ bedeutet. Im weiteren Sinn ist damit gemeint, dass jemand leichtgläubig und unwissend, aber auch unverfälscht ist. Diese Person lässt sich leicht beeinflussen und hinterfragt wenig, da sie glaubt, was andere ihr sagen.
Bestes Beispiel: Kindern können Sie bis zu einem gewissen Alter erzählen, dass das Christkind die Geschenke zu Weihnachten bringt. Irgendwann verliert sich dieser Glaube und das Kind realisiert, dass es sich dabei nur um eine schöne Geschichte handelt. Da Kinder naturgemäß noch nicht viel Lebenserfahrung haben, können sie nicht sofort einschätzen, ob etwas wahr oder erfunden ist.
Naivität bei Erwachsenen
Mit zunehmenden Alter lernen Menschen, das Gesagte und das Verhalten anderer zu analysieren. Sie entdecken Widersprüche und nichtkonsistentes Verhalten. Hinzu kommen schlechte Erfahrungen, Enttäuschungen. Daraus entwickeln sie eine gesunde Skepsis. Was bei Kindern noch verständlich ist, ruft bei Erwachsenen Irritation hervor. Deshalb bewerten viele Naivität bei Erwachsenen anders, nämlich deutlich negativer. Von einer erwachsenen Person erwarten wir, dass sie bestimmte Situationen einschätzen und sich angemessen verhalten kann. Es geht hier vor allem um Selbstschutz.
Manche Menschen verfolgen äußerst egoistische Motive. Und oft existieren widerstreitende Interessen. Zu einem gesunden Egoismus gehört, seine Naivität abzulegen und für die eigenen Bedürfnisse einzutreten. Das gilt in Beziehungen ebenso wie im Arbeitsleben. Beispielsweise wäre es naiv zu denken, dass Unternehmen aus reiner Menschenfreundlichkeit angemessene Löhne bezahlen. Da das nicht funktioniert, wurde schließlich ein Mindestlohn eingeführt. Das bedeutet als Arbeitnehmer aber auch, dass Sie dort, wo Dinge verhandelbar sind, für Ihre Interessen eintreten müssen. Anderenfalls kann es sein, dass Ihnen Nachteile daraus entstehen.
Ursachen: Woher kommt Naivität?
Es gibt verschiedene Erklärungsansätze dafür, warum manche Menschen auch im Erwachsenenalter noch ausgesprochen naiv sind.
Mangelnde Erfahrung
Eine häufige Erklärung für Naivität liegt darin, dass eine Person noch keine negativen Erfahrungen gesammelt hat. Man vermutet, dass das besonders auf Menschen zutrifft, die sehr behütet aufgewachsen sind. Der Gedanke: Eltern vermitteln ihrem Kind bestimmte Werte und leben diese vor. Diese Werte verinnerlicht das Kind und glaubt später, dass andere Menschen genauso denken. Solange diese heile Welt nicht erschüttert wird, bleibt die Person also naiv.
Diese Theorie ist bedingt plausibel, denn auch die harmonischsten Eltern streiten sich, auch unter Geschwistern gibt es Konkurrenz. Bis zu unserem Erwachsenenalter haben wir mit den unterschiedlichsten Menschen Kontakt: Verwandte, Nachbarn, Mitschüler, Lehrer, Trainer. Sie alle prägen uns und unser Bild von Mitmenschen und tragen dazu bei, Erfahrungen zu sammeln. Den Charakter und die Persönlichkeit anderer Menschen zu erkennen. Schon Kinder lügen – es gibt also eine Diskrepanz zwischen dem, was eine Person einerseits sagt und eine andere Person sieht oder entdeckt.
Trotzdem kann sich jemand bis zu einem gewissen Grad eine Naivität bewahren, wenn er sich beispielsweise immer nur in denselben Kreisen bewegt. Menschen mit anderen Erfahrungen, anderem kulturellen oder sozioökonomischen Hintergrund kennenzulernen, trägt definitiv dazu bei, alte naive Vorstellungen zu überprüfen und über Bord zu werfen.
Bewusste Entscheidung
Eine andere Erklärung sieht Naivität als bewusste Entscheidung. Grundsätzlich das Schlechteste von anderen anzunehmen, ist eine negative Grundhaltung. Die Pessimisten würden argumentieren, dass sie so nur positiv überrascht werden können. Die Optimisten hingegen, dass sie sich damit vieles schwerer machen. Womöglich steckt also hinter Naivität der Wunsch nach Harmonie: Wer anderen Menschen offen und freundlich begegnet, nichts Böses vermutet, wird auf wenig Widerstand stoßen.
Naivität als Grundeinstellung kann auch die Folge von Denkfaulheit sein. Womöglich weigert sich eine Person, sich mit bestimmten Themen zu beschäftigen. Das könnte im ungünstigsten Fall bedeuten, das eigene Handeln ändern zu müssen. Wer beispielsweise Wert legt auf fair gehandelte Produkte, sollte sich konsequenterweise vorab schlau machen, ob die erworbenen Güter den eigenen Kriterien entsprechen. Davon auszugehen, dass andere Menschen – in dem Fall Produzenten und Händler – die Dinge schon genauso sehen, ist angesichts kapitalistischer Interessen naiv.
Schwere Kindheit
Die Psychologie liefert wiederum eine ganz andere Erklärung. Eine Studie der britischen Psychologen Kim Drake, Ray Bull und Julian Boon von der Universität Leicester kommt zu dem Ergebnis, dass es im Gegenteil die harten Lektionen des Lebens sind, die Menschen leichtgläubig machten. In einer sechsmonatigen Studie werteten die Forscher die Ergebnisse von 60 Teilnehmern aus. Zu den harten Lektionen gehörten Erfahrungen von Gewalt wie Raub ebenso wie schwere Erkrankungen, Tod, Fehlgeburt, Scheidung, Entlassungen oder Mobbing. Die Auswertungen ergaben, dass solche Menschen beispielsweise bei polizeilichen Verhören offener für Suggestivfragen sind. Oder sich von den Medien oder Werbekampagnen leichter beeinflussen lassen könnten.
Zwar werden einige Menschen durch Widrigkeiten tatsächlich „abgebrühter“. Die meisten Menschen jedoch entwickeln dadurch, dass sie wiederholt negativen Erfahrungen ausgesetzt sind, weniger Vertrauen in ihr eigenes Urteilsvermögen. So zumindest die Beobachtungen. Die Forscher erklären das damit, dass jemand mit solchen Erlebnissen gelernt habe, die eigenen Handlungen und Entscheidungen als negative Konsequenzen wahrzunehmen. Ebenfalls fanden die Forscher, dass viele Menschen aufgrund häufiger negativer Erlebnisse eine negative Denkweise entwickeln, die mit einem geringen Selbstwertgefühl einhergeht.
3 Tipps, wie Sie Ihre Naivität ablegen
Naivität ist ein zweischneidiges Schwert. Gerne verbindet man naiv sein mit Begriffen wie „unschuldig“, „unbeschwert“ und „ehrlich“ – was sollte daran auszusetzen sein? Beziehungsweise: Warum sollte jemand seine Naivität ablegen wollen? So bitter es klingt: Naivität garantiert zwar bis zu einem gewissen Grad eine heile Welt, weil es dazu führen kann, dass wir einer Person nur Gutes zutrauen. Ist dieses Vertrauen allerdings nicht gerechtfertigt, kann es schaden. Deshalb müssen sich Fremde üblicherweise das Vertrauen anderer erst „verdienen“, sich also eine bestimmte Zeit lang bewähren.
Kaum ein Arbeitgeber würde seinem frisch angestellten Azubi den Tresorschlüssel anvertrauen (es sei denn, als Test). Tut er es doch und erweist sich der Neuzugang nicht als vertrauenswürdig, würden viele das Verhalten des Arbeitgebers als naiv bewerten. Im Allgemeinen hat also jeder ein Interesse daran, übermäßige Naivität abzulegen. Wie gelingt das? Dazu diese Tipps:
Hören Sie zu
Hören Sie hin, was andere Ihnen erzählen. Das heißt nicht, dass Sie sich einen Bären aufbinden lassen sollten. Allerdings können manche Menschen nicht besonders gut zuhören, sondern reden lieber über sich selbst. Wer allerdings vor allem über sich redet, erfährt nichts von der anderen Person. Was sind ihre Werte und Ziele? Stimmen sie mit Ihren überein? Außerdem ermöglicht Zuhören Ihnen, zu einem späteren Zeitpunkt das Gesagte zu überprüfen.
Beobachten Sie
„Naiv ist nicht, wer an das Gute im Menschen glaubt. Sondern wer das Schlechte im Menschen ignoriert“, heißt einer der zahlreichen Sprüche zur Naivität. Es geht also nicht darum, per se alle Menschen zu verurteilen. Aber eben auch realistisch Risiken abzuschätzen. Daher reicht es nicht, nur auf das zu hören, was eine Person sagt, sondern auch ihr Handeln zu beobachten: Löst derjenige ein, was er zuvor behauptet hat? Hält er seine Versprechen? Oder ist es nur viel heiße Luft und sonst nichts? Ihr Gegenüber beobachten sollten Sie auch im direkten Gespräch: Wer es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, verrät sich häufig durch seine Körpersprache.
Machen Sie Erfahrungen
Der ultimative Tipp, wie Sie Naivität ablegen können, ist Erfahrungen zu machen. Gemeint sind nicht zwangsläufig negative Erfahrungen. Es geht darum, andere Menschen und andere Orte kennenzulernen und den eigenen Horizont zu erweitern. Zu lernen, dass nicht jeder die gleichen Ideen und Vorstellungen hat, hilft dabei zu erkennen, wo es womöglich Konfliktpotenzial gibt, falls man beispielsweise aufeinander angewiesen ist. In manchen Fällen mag die Erkenntnis sogar dazu führen, das eigene Wertesystem zu modifizieren.
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