Pinocchio-Syndrom: Was tun bei krankhaftem Lügen?

Lügen haben kurze Beine. Trotzdem lügen manche mehr als andere – krankhaft. Dahinter steckt das Pinocchio-Syndrom. Betroffene müssen sich durch ihre Unwahrheiten aufwerten und suchen permanent nach Aufmerksamkeit. Woran Sie das Pinocchio-Syndrom erkennen und was Sie bei pathologischem Lügen tun können…

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Definition: Was ist das Pinocchio-Syndrom?

Das Pinocchio-Syndrom beschreibt ein Verhalten, bei dem Menschen Probleme damit haben, die Wahrheit zu sagen oder sogar krankhaft (pathologisch) lügen. Schätzungen zufolge sind davon 5-6 Prozent der Bevölkerung betroffen.

Eine zweite Definition besagt, dass Menschen aus Angst vor Spott (Gelotophobie) und sozialer Phobie unnatürlich und hölzern wirken oder sich regelrecht versteifen. Die Charakterisierung des verkrampften Erscheinungsbilds als Pinocchio-Syndrom stammt wiederum von dem Psychotherapeuten und Psychoanalytiker Michael Titze.

Wer ist Pinocchio?

Seinen Namen hat das Pinocchio-Syndrom von der Märchen- und Holzfigur des italienischen Autors Carlo Collodi an: Pinocchio bekommt jedes Mal eine lange Nase, wenn er lügt.


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Wer ist vom Pinocchio-Syndrom betroffen?

Wahr ist: Alle Menschen lügen. Forscher gehen heute davon aus, dass Menschen bis zu 200 Mal am Tag lügen. Vieles davon sind sogenannte Notlügen, um andere nicht zu verletzen oder sich selbst zu schützen.

Beispiel: Die Kollegin führt Ihnen ein neues Kleid vor und fragt, wie Sie das finden. Sie sagen: „Du kannst das tragen!“ Das ist nicht ganz gelogen, aber die Wahrheit ist es auch nicht.

Warum lügen Menschen?

Die drei häufigsten Gründe sind:

  1. Soziale Motive

    Die meisten Lügen passieren aus Höflichkeit, weil die Wahrheit unbequem oder verletzend wäre. Die Lüge dient als soziales Schmiermittel und dient der Beziehungspflege. Gleiches gilt fürs Tiefstapeln oder diplomatische Bescheidenheit, um andere nicht zu düpieren.

  2. Egoistische Motive

    Hinter Lügen können ebenso egoistische Motive stecken. In diesem Fall versucht der oder die Lügnerin, sich damit in ein besseres Licht zu rücken, das Image zu verbessern oder sich Vorteile zu verschaffen. Dazu werden Tatsachen beschönigt, Geschichten ausgedacht oder im Extrem auch bewusst betrogen.

  3. Realitätsflucht

    Einige Menschen lügen regelmäßig, um dabei in eine Art Fantasiewelt zu fliehen. Nur dort können sie ihre Sehnsüchte oder Wünsche erfüllen. Diese Form der Realitätsflucht kann ebenso der Selbstbefriedigung dienen.

Beim Pinocchio-Syndrom handelt es sich um den zweiten Fall. Notorische Lügner (synonym: Pseudologe) verdrehen die Wahrheit zwanghaft, um Aufmerksamkeit zu erhaschen oder um ein geringes Selbstwertgefühl sowie Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren.

Frauen und Männer lügen unterschiedlich

Die Psychologin Claudia Mayer fand heraus, dass es beim Lügen Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt: Zwar lügen beide, während aber Frauen eher für andere lügen, um Streit zu vermeiden, geht es Männern verstärkt um die Selbstaufwertung. Der Wiener Sozialpsychologe Peter Stiegnitz bestätigt das: Männer lügen gerne beim Job, Frauen beim Gewicht. Gleichzeitig lügen seinen Studien zufolge Frauen 20 Prozent weniger als Männer.


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Woran kann ich das Pinocchio-Syndrom erkennen?

Ein wesentliches Merkmal eines pathologischen Lügners, ist dass er oder sie gelernt hat, seine Lügengeschichten besonders detailliert und eloquent zu erzählen. So fallen die Lügen nicht sofort auf und klingen anfangs plausibel. Zudem versuchen sich krankhafte Lügner durch die Unwahrheit aufzuwerten – was für latenten Narzissmus spricht.

Um das Pinocchio-Syndrom und dessen Lügen zu erkennen, sollten Sie zusätzlich auf diese Anzeichen achten:

  • Helden- oder Opfergeschichten

    Ein notorischer Lügner inszeniert sich selbst gerne als Held oder Opfer. Das Drama steigert die erwünschte Aufmerksamkeit. Nicht wenige erzählen von Menschen, die sie angeblich gerettet haben oder behaupten, an unheilbaren Krankheiten zu leiden.

  • Fantasie und Details

    Notorische Lügenbarone haben eine nahezu endlose Fantasie. Ihnen fällt in jeder Situation ein passendes Erlebnis ein, das sie mit zahlreichen erfundenen Details ausschmücken.

  • Lügennetz und Kartenhaus

    Bei krankhafter Lügensucht folgt eine Lüge der nächsten – muss sie auch, um die Glaubwürdigkeit zu erhalten und Zweifel zu zerstreuen. So verstricken sich Betroffene immer weiter im Lügennetz.

  • Blickkontakt und Sicherheit

    Ungeübte Lügner schauen zu Boden und meiden den Blickkontakt. Pathologische Lügner sind Profis: Sie können ihrem Gegenüber direkt ins Gesicht lügen und strahlen dabei noch Selbstsicherheit aus.

  • Bekanntes und Wiederholungen

    Notorische Pinocchios nehmen Bekanntes aus Nachrichten, Filmen oder anderen Quellen – und basteln daraus eine eigene Lügengeschichte. Weil Zuhörern die Erzählungen bekannt vorkommt, schöpfen sie weniger Verdacht.

  • Abwehr und Vorwürfe

    Bei kritischen Rückfragen reagieren krankhafte Lügner heftig: Sie machen Vorwürfe, bemängeln das fehlende Verständnis oder werden beleidigend. Die Abwehr und Flucht nach vorn soll ablenken und verhindern, dass die Lüge platzt.

Wobei wird beim Pinocchio-Syndrom am meisten gelogen?

Das Pinocchio-Syndrom reicht von kleinen Alltagslügen bis hin zu erfundenen Lebensbiographien oder Schicksalsschlägen. Pathologische Hochstapler lügen besonders gerne bei schweren Krankheiten, wie zum Beispiel Krebs, bei der eigenen Prominenz („Ich bin das uneheliche Kind von…“), bei akademischen oder Adelstiteln (und beim Einkommen) sowie bei Katastrophen, die sie natürlich nur knapp überlebt haben. Zum Beispiel einen Amoklauf oder eine Naturkatastrophe.

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Welche Folgen hat das Pinocchio-Syndrom?

Betroffene vom Pinocchio-Syndrom schaden sich in erster Linie selbst – auch wenn sie dies nicht immer sofort erkennen. Häufige Auswirkungen sind:

  • Vertrauensverlust
    Kommen die Lügen ans Licht, verlieren die Betroffenen massiv das Vertrauen der Menschen um sie herum. Das belastet alle Beziehung – privat und im Job.
  • Isolation
    Wer mehrfach lügt, dem glaubt man nicht – und distanziert sich von der Person. Die Folgen: ein beschädigter Ruf, soziale Isolation und Einsamkeit.
  • Jobverlust
    Wer notorisch die Unwahrheit sagt, übertreibt oder hochstapelt, riskiert seinen Job. Es drohen disziplinarische Konsequenzen ebenso wie rechtliche. Bei Betrug oder finanzieller Täuschung ist sogar Gefängnis möglich.
  • Psychische Erkrankungen
    Wer sein Lügenhaus permanent aufrecht erhalten muss, leidet unter enormer emotionaler Belastung. Hinzu kommen ein schlechtes Gewissen sowie starke Selbstzweifel.
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Umgang mit dem Pinocchio-Syndrom: Was tun?

Das Pinocchio-Syndrom ist keine anerkannte psychologische oder Persönlichkeitsstörung. Trotzdem sprechen Fachleute und Mediziner von Lügensucht, Mythomanie oder „Pseudologica Phantastica“ – dem zwanghaften oder krankhaften Lügen und Behaupten frei erfundener Übertreibungen.

Was bei Kindern noch eine normale Entwicklungsphase etwa ab dem 3. Lebensjahr ist, wird bei Erwachsenen zum Problem – und ist mitunter ein Indiz für ein ausgeprägtes Selbstwertproblem und pathologisches Geltungsbedürfnis (siehe Münchhausen-Syndrom).

Was kann man gegen krankhaftes Lügen tun?

Menschen, die unter dem Pinocchio-Syndrom leiden, schaden nicht nur Ihrem Umfeld, sondern vor allem sich selbst. Krankhaftes Lügen führt häufig in die soziale Isolation, in eine Sucht oder Depression.

Um die Auswirkungen gering zu halten, helfen Betroffenen folgende Tipps:

  • Selbstwertgefühl stärken
    Im ersten Schritt sollten notorische Lügner versuchen, das Selbstwertgefühl zu stärken. Wenn Sie erkennen, dass Sie nicht auf die äußere Bewunderung angewiesen sind, können Sie auf Lügengeschichte verzichten.
  • Psychotherapie machen
    Wie bei allen psychischen Erkrankungen ist eine Psychotherapie oft der beste Weg, um das Problem zu lösen. Mit professioneller Unterstützung können Betroffene die Ursachen des eigenen Verhaltens hinterfragen und daran arbeiten.

Tipps für Außenstehende

  • Verständnis zeigen
    Versuchen Sie, hinter die Lügen zu schauen: Warum lügt mich die Person immer wieder an? Durch Empathie und Einfühlungsvermögen können Sie womöglich emotionale Probleme oder Ängste erkennen und darauf eingehen.
  • Lügen ansprechen
    Haben Sie das Gefühl, angelogen zu werden, sollten Sie das ansprechen. Nehmen Sie die Lügen nicht einfach hin, sondern sagen Sie deutlich: „Ich glaube, du bist nicht ehrlich und das ist erfunden!“
  • Beweise verlangen
    Entlarven Sie die Märchen, indem Sie Rückfragen stellen oder Belege für die Wahrhaftigkeit der Aussagen verlangen. Bei erfundenen Geschichten bleiben jetzt nur noch Ausflüchte. Ein indirekter Beweis für das Pinocchio-Syndrom.
  • Grenzen setzen
    Sind die Lügen als solche entlarvt, sollten Sie klare Grenzen setzen – schon aus Selbstschutz. Sagen Sie klipp und klar, dass Sie das Verhalten nicht tolerieren und drohen Sie mit Konsequenzen.
  • Geduld üben
    Der Umgang mit krankhaften Lügnern ist herausfordernd und eine Verhaltensänderung braucht Zeit. Seien Sie daher gnädig und geduldig. Schützen Sie sich aber gleichzeitig selbst: Wird die Beziehung zur Belastung, müssen Sie sich von einem toxischen Menschen distanzieren oder trennen.

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