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Transparenz Paradoxon: Mehr Transparenz, weniger Leistung

Moderne Büros bestehen heute aus Glas. Viel Glas. Das macht die Arbeit und Belegschaft transparent. Der Gedanke dahinter ist, Trennendes und Wände – wörtlich wie sprichwörtlich – abzubauen. Die neue Transparenz soll für mehr Offenheit sorgen, mehr Miteinander statt Silodenken. Und nicht zuletzt soll es die Leistungen der Mitarbeiter verbessern. Doch das Gegenteil ist der Fall: „Transparenz Paradoxon“ heißt das Phänomen in der Fachsprache. Statt für mehr Zufriedenheit und Produktivität sorgt die Transparenz, so das Ergebnis wissenschaftlicher Studien, für weniger Privatsphäre, mehr Stress und Angst vor Beobachtung – vor allem durch den Chef…



Transparenz Paradoxon: Mehr Transparenz, weniger Leistung

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Mehr Transparenz: Die Idee dahinter

Helle, lichtdurchflutete und offene Arbeitsplätze statt kleiner, dunkler Einzelbüros. Modernes Bürodesign soll nicht nur die Arbeitsbedingungen verbessern, sondern vor allem die Zusammenarbeit fördern. Kurze Wege, sich mit Kollegen schnell austauschen, spontane Meetings abhalten – all das wird im modernen Großraumbüro einfacher. Die Arbeitsräume wirken großzügig und sind mit schicken Kommunikationsinseln ausgestattet. Sichtbare Grenzen – in Form von Wänden oder geschlossenen Türen – verschwinden. Das Büro der Zukunft besticht durch moderne Ästhetik, Glas, Offenheit, Transparenz.

Davon versprechen sich Designer wie Unternehmen gleich mehrfachen Nutzen und viele Vorteile:

  • Die Kommunikation wird einfacher. Jeder sieht jeden, jeder kann mit jedem sprechen, sich austauschen, gemeinsam kreativ sein, Lösungen erarbeiten, Fehler erkennen und beheben. Kurzum: Statt vieler Einzelkämpfer entsteht (auch optisch) ein Team, das zusammen arbeitet und sich durch den ständigen Austausch gegenseitig beflügelt und informiert.
  • Die Hierarchie wird flacher. Der Chef sitzt nicht mehr im repräsentativen Eckbüro am Ende des Flurs, sondern vielleicht sogar mittendrin – an einem Schreibtisch, wie ihn alle haben. Das reduziert die interne Hierarchie und Bürokratie. Ermöglicht aber auch schnellere Abläufe und kürzere Informationsketten. Der direkte Zugang zur Führungskraft steigert zudem die Motivation der Mitarbeiter.
  • Das Arbeitsklima verbessert sich. Acht Stunden täglich alleine im Büro sitzen? Nicht gerade die schönste Vorstellung. Gemeinsames Arbeiten mit den netten Kollegen, die zwischendurch Zeit für einen Plausch haben – das klingt schon mehr nach einer guten Arbeitsatmosphäre.

All diese Effekte sollen im Zusammenspiel zu mehr Produktivität führen und die Zufriedenheit und Identifikation der Mitarbeiter steigern. Transparenz steigert Leistung. So die Theorie. Die Realität ist eine andere.

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Transparenz Paradoxon: Manager sehen ein Schauspiel

Dem Trugschluss kam eine Studie der Harvard Business School auf die Schliche. Ethan S. Bernstein und seine Kollegen stellten fest: Was Manager in den transparenten Büros sehen, ist meist ein pures Schauspiel. Die Mitarbeiter simulieren Geschäftigkeit, Fleiß und Engagement – solange, wie sie sich beobachtet fühlen. Wirklich produktiv sind sie dabei aber nicht. Das Ergebnis ist, um es mit einem Schlagwort zu formulieren, vielmehr Aktionismus.

Beinstein nannte das Phänomen „Transparency Paradox“ – oder auf deutsch: „Transparenz Paradoxon“. Und es funktioniert auch anders herum: Dort, wo sich die Belegschaft wieder unbeobachtet und vor der permanenten Sichtkontrolle durch die Chefs geschützt fühlte, die Transparenz also wieder abgebaut wurde, stieg die Produktivität. So analysierten Bernstein und seine Kollegen fünf Monate lang die Arbeitsweise an 32 Produktionsstandorten. In einigen Unternehmen arbeiteten die Mitarbeiter in offenen Bürokonzepten, andere malochten in eher klassischem Ambiente – mit Einzelbüros und undurchsichtigen Fluren. Doch genau diese Privatsphäre hatte massiven Einfluss auf die Leistung der Mitarbeiter: Die Mitarbeiter erzielten in der gleichen Zeit zehn bis 15 Prozent bessere Leistungen als in transparenten Büroformen.

Weniger Transparenz, weniger Ablenkungen

Die Wissenschaftler konnten sogar noch einen weiteren Störfaktor ausmachen: Die Transparenz der „Open Space Büros“ sorgte zugleich für mehr Ablenkung. Wenn jeder jeden sieht, können sich manche kaum noch auf die eigentliche Arbeit konzentrieren, lauschen oder sehen anderen beim Arbeiten zu oder erliegen der Versuchung, sich dem scheinbar gemütlichen Plausch gleich anzuschließen. Womöglich auch aus FOMO – der Angst etwas zu verpassen. Effekt: Ebenfalls weniger Leistung, dafür mehr Gedaddel.

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Was tun gegen das Transparenz Paradoxon?

Sicher, das Ergebnis solcher Studien stellt Unternehmen und Mitarbeiter vor ein Dilemma: Einerseits will kaum eine(r) zurück in die Tristesse der Siebzigerjahre und deren eintönigen Bürobauten samt hermetisch verschlossener Einzelzellen und obligatem Gummibaum und dunklen Flurschluchten. „Mitarbeiterintensivhaltung“ nannten das viele Angestelle spöttisch.

Die Hölle können aber eben auch Büros sein, in denen alle alles zu sehen und die letzte Privatsphäre-Bastion lediglich auf der Toilette zu finden ist. Entsprechend kann die Lösung des Transparenz Paradoxons nur ein Kompromiss sein: Generell mehr Durchsichtigkeit, flache Hierarchien und kurze Wege – bei gleichzeitig mehr visuell geschützten Bereichen, Ecken, Winkeln und Nischen. Die Türen können ja trotzdem offen bleiben.

3 Tipps, wie Sie das Transparenz Paradoxon umgehen

Mehr Miteinander und Wir-Gefühl lassen sich ebenso gut durch andere Maßnahmen initiieren und verbessern – ohne dabei auf modernes Design verzichten zu müssen. 3 Tipps, wie Sie das Transparenz Paradoxon ganz leicht umgehen:

  • Schaffen Sie unterschiedliche Arbeitsbereiche. Nutzen Sie die Vorteile beider Welten: Offene Bereiche sind im Vorteil, wenn es um die gemeinsame Arbeit geht und zum Beispiel das Team nach einer Lösung sucht. Mitarbeiter sollten aber auch die Chance haben, in Ruhe zu arbeiten und die Tür hinter sich zu schließen. Kein Lärm, keine Ablenkung, keine Störungen. Sich einfach nur auf die Arbeit konzentrieren können – solange, wie man es braucht.
  • Werden Sie nicht zu Big Brother. Ein offenes Büro gibt Führungskräften zwar prinzipiell die Chance, jedem Mitarbeiter über die Schulter zu schauen. Das bedeutet aber nicht, dass Sie das auch tun sollten. Im Gegenteil: Vertrauen fördert Leistung, Kontrollwahn und Mikromanagement blockieren sie. Werden Sie lieber zum „Boss Next Door“, öffnen Sie den Zugang zu Ihrem Arbeitsbereich und lassen Sie Angestellten die nötigen Freiräume – unabhängig davon, ob die im offenen Büro oder hinter verschlossenen Türen sitzen.
  • Suchen Sie den Dialog mit den Mitarbeitern. Reden hilft. Immer. Viele Probleme im Office könnten schon in der Planung gelöst werden, wenn darüber gesprochen würde. Wer also sein Bürokonzept modernisieren will, sollte unbedingt die Mitarbeiter in die Gestaltung der Arbeitsplätze mit einbeziehen und deren Meinung respektieren. Schließlich sind es genau diese Angestellten, die später darin arbeiten und davon profitieren sollen. Das lässt sich schlecht verordnen, sondern muss sich entwickeln.
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Autonomie und Vertrauen statt Transparenz Paradoxon

Auf einen Punkt gebracht: Nicht die räumliche Transparenz entscheidet, sondern die gelebte. Indem Sie Ihren Angestellten Vertrauen schenken und sie wie mündige und kompetente „Mitarbeiter“ im Wortsinn behandeln, appellieren Sie an deren Eigenverantwortung und intrinsische Motivation. Sie spüren, dass und was Ihnen zugetraut wird. Das motiviert. Die Mehrheit wird versuchen, die Erwartungen zu erfüllen – und nur die wenigsten nutzen das aus. Heißt für Führungskräfte konkret:

  • Informieren Sie Mitarbeiter frühzeitig.
  • Treffen Sie transparente, nachvollziehbare Entscheidungen.
  • Kommunizieren Sie glaubwürdig und authentisch.
  • Tun Sie, was Sie sagen und bleiben Sie berechenbar.
  • Formulieren Sie Ziele und Erwartungen klar und verständlich.
  • Definieren Sie exakte Arbeits- und Umgangsregeln.
  • Gehen Sie stets mit gutem Vorbild voran – ohne Ausnahmenprivileg.

Wirken Sie dem Transparenz Paradoxon aktiv entgegen, indem Sie zuerst und vor allem die Wände im Kopf und Denken einreißen. Ein hoher Grad an Autonomie, Selbstbestimmung und Handlungsspielräume bestimmen maßgeblich die Einsatzbereitschaft und Kreativität der Belegschaft. Enorm positiv dazu.

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