Erikson Stufenmodell: 8 Phasen psychosozialer Entwicklung

Ihre Persönlichkeit entwickelt sich das ganze Leben – nicht nur als Kleinkind, sondern auch als Erwachsener prägen Erfahrungen Ihre Identität. Das Erikson Stufenmodell zeigt die psychosoziale Entwicklung in acht Stufen. Wir erklären das Erikson Stufenmodell mit Kernfragen, Konflikten und Beispielen jeder Phase…

Erikson Stufenmodell Tabelle Alter Einfach Erklaert Beispiele Kurz Zusammengefasst Psychosoziale Entwicklung Phasen Kritik

Was ist das Erikson Stufenmodell?

Das Erikson Stufenmodell beschreibt die psychosoziale Entwicklung des Menschen von der Geburt bis zum Tod in acht aufeinanderfolgenden Studen. Die Persönlichkeit wächst demnach in einem Spannungsfeld aus eigenen Wünschen oder Bedürfnissen und den Erwartungen und Anforderungen der Umwelt.

Jede Phase im Stufenmodell beschreibt einen Konflikt oder eine Krise, die Menschen – Kinder, Jugendliche und Erwachsene – für erfolgreiche und gesunde psychosoziale Entwicklung lösen müssen. Falsch oder ungelöste Konflikte führen zu Problemen in den späteren Lebensphasen.

Ursprung des Stufenmodells

Der Psychoanalytiker Erik. H. Erikson hat das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung in Zusammenarbeit mit seiner Frau entwickelt.

Zum Zusammenspiel zwischen individuellen Bedürfnissen und sozialen Anforderungen sagte er: „Identität ist der Schnittpunkt zwischen dem, was eine Person sein will, und dem, was die Welt ihr zu sein gestattet.“

Anzeige

Erikson Stufenmodell: Wie funktioniert es?

Die acht Phasen im Erikson Stufenmodell zeigen die notwendigen Schritte zur psychosozialen Entwicklung einer gefestigten Persönlichkeit. Dieser Prozess findet (anders als im Modell von beispielsweise Sigmund Freud) nicht nur in Kindheit und Jugend, sondern über das gesamte Leben statt.

Zentrale Elemente sind die verschiedenen Phasen: Jede umfasst ein Entwicklungsthema mit einem zentralen Konflikt. Die Bewältigung dieser Krisen ist die Entwicklungsaufgabe der einzelnen Phasen – dazu müssen Sie sich mit dem Konflikt auseinandersetzen, eine Balance zwischen Bedürfnissen sowie Anforderungen finden und eine positive Lösung entwickeln.

Erikson Stufenmodell Tabelle

Die Tabelle zeigt die acht Phasen im Stufenmodell nach Erikson. Die Phasen bauen aufeinander auf. Sie beginnen die nächste Stufe erst, wenn die vorherige abgeschlossen ist. Bei erfolgreicher Lösung des Konflikts fallen die nächsten Entwicklungsaufgaben leichter.

Stufe Konflikt Alter
1 Ur-Vertrauen vs. Ur-Misstrauen 1. Lebensjahr
2 Autonomie vs. Scham & Zweifel 2.-4. Lebensjahr
3 Initiative vs. Schuldgefühl 4.-5. Lebensjahr
4 Werksinn vs. Minderwertigkeit 6. Lebensjahr: Pubertät
5 Identität vs. Identitätsdiffusion Jugendalter
6 Intimität & Solidarität vs. Isolation Frühes Erwachsenenalter
7 Generativität vs. Stagnation Erwachsenenalter
8 Ich-Integrität vs. Verzweiflung Reifes Erwachsenenalter

Trotz erfolgreicher Auseinandersetzung verschwinden die Krisen niemals komplett. Auch in fortgeschrittenen Phasen bleiben vorherige Konflikte aktuell.

Abgeschlossene Entwicklungsaufgaben in den Phasen und gelöste Krisen fördern aber die psychosoziale Entwicklung und die Bildung der eigenen Identität.

Anzeige

Was sind die 8 Stufen nach Erikson?

Die obige Tabelle zeigt die acht Phasen aus Eriksons Stufenmodell in der Übersicht. Doch was bedeuten die einzelnen Stufen im Detail und was sind die Konflikte, die darin überwunden werden müssen?

Wir erklären die acht Stufen der psychosozialen Entwicklung laut Erikson der Reihe nach:

1. Stufe: Ur-Vertrauen vs. Ur-Misstrauen (1. Lebensjahr)

Kernfrage Satz
Kann ich der Welt vertrauen? „Ich bin, was man mir gibt.“
  • Ur-Vertrauen

    Im 1. Lebensjahr entwickeln Kinder ein grundlegendes Vertrauen gegenüber ihrer Umwelt. Babys sind auf Nahrung, Pflege, Liebe, Fürsorge und Schutz angewiesen. Entscheidend ist die Bindung zu den engsten Bezugspersonen – laut Erikson vor allem zur Mutter.

  • Ur-Misstrauen

    Vernachlässigung der Bedürfnisse führt zu Misstrauen, Unsicherheit und dem Gefühl von Hilflosigkeit oder Ausgeliefertsein. Dieses Ur-Misstrauen bleibt langfristig bestehen. Mögliche Folgen sind Angstzustände, Depressionen, emotionale Abhängigkeit und Verlustängste.

  • Beispiel

    Ein Baby wird regelmäßig gefüttert, liebevoll umsorgt und ist eng mit der Mutter verbunden. Es entsteht Ur-Vertrauen. Werden Bedürfnisse verweigert oder vernachlässigt, bildet sich Ur-Misstrauen.

2. Stufe: Autonomie vs. Scham und Zweifel (2. bis 4. Lebensjahr)

Kernfrage Satz
Kann ich es selbst oder bin ich abhängig? „Ich bin, was ich will.“
  • Autonomie

    In dieser Phase entwickeln Kinder einen eigenen Willen, probieren aus und versuchen sich durchzusetzen. Mit Unterstützung der Eltern entwickeln sie Autonomie und ein Gefühl der Selbstbestimmung. Grundlage ist das Vertrauen aus der ersten Phase, das erhalten bleiben muss.

  • Scham und Selbstzweifel

    Starke Einschränkungen, Kontrollen oder Bloßstellungen führen zu Scham und Zweifeln an eigenen Fähigkeiten. Selbstständigkeit darf nicht als falsch oder schlecht empfunden werden.

  • Beispiel

    Ein Kind isst selbstständig oder zieht sich alleine an. Unterstützung und Zuspruch fördern die Autonomie. Harsche Kritik für Fehler oder gar Auslachen schürt Selbstzweifel.

3. Stufe: Initiative vs. Schuldgefühl (4. bis 5. Lebensjahr)

Kernfrage Satz
Kann ich Neues ausprobieren? „Ich bin, was ich mir vorstellen kann, zu werden.“
  • Initiative

    Kinder erkunden die Umwelt, sind neugierig und schlüpfen spielerisch in verschiedene Rollen. In einem offenen und förderlichen Umfeld entsteht Initiative. Hinzu kommt die Überwindung des Ödipuskomplexes. Die enge Beziehung zwischen Mutter und Kind wird etwas lockerer, andere Bezugspersonen gewinnen an Bedeutung.

  • Schuldgefühl

    In dieser Phase entwickeln Kinder ein Gewissen und moralisches Empfinden. Sie verstehen, was richtig oder falsch ist. Ständige Verbote, Tadel und Bestrafungen für das Verhalten führen zu Schuldgefühlen.

  • Beispiel

    Ein Kind macht Rollenspiele (als Mutter, Lehrer, Arzt…) und wird gelobt oder dabei unterstützt – die Initiative steigt. Wird das Spiel verboten, schlechtgeredet oder kritisiert, wachsen innerlich Schuldgefühle.

4. Stufe: Werksinn vs. Minderwertigkeitsgefühl (6. Lebensjahr bis Pubertät)

Kernfrage Satz
Kann ich es gut genug? „Ich bin, was ich lerne.“
  • Werksinn

    Durch Beobachtung, Erklärungen und eigenständiges Handeln wollen Kinder lernen. Sie wollen erfahren, wie Dinge funktionieren und selbst (oder mit anderen) nützliche Dinge herstellen. Kinder wollen in dieser Phase mitmachen und teilhaben – dafür aber auch gelobt werden. Das fördert den Werksinn.

  • Minderwertigkeitsgefühl

    Die Fähigkeiten der Kinder dürfen in dieser Phase nicht unterschätzt werden. Sonst drohen nachhaltige Minderwertigkeitsgefühle. Es braucht (mit Hilfe der Eltern) Erfolgserlebnisse. Aber Vorsicht vor Überforderung: Das führt zu Scheitern und Versagensängsten.

  • Beispiel

    Ein Kind baut eine kleine Kiste aus Holz, die die Eltern zur Aufbewahrung nutzen – Werksinn und Selbstbewusstsein steigen. Klappt der Bau hingegen nicht und es gibt keine Hilfe, fühlt das Kind sich minderwertig.

5. Stufe: Identität vs. Identitätsdiffusion (Jugendalter)

Kernfrage Satz
Wer bin ich und wer werde ich? „Ich bin, was ich bin.“
  • Identität

    Jugendliche suchen die eigene Identität. Sie experimentieren mit verschiedenen Rollen und formen aus allem, was sie über sich und die Welt gelernt haben, ein funktionierendes Selbstbild. Freunde haben bei dieser Selbstfindung eine wichtige Funktion.

  • Identitätsdiffusion

    Unklarheit über die eigene Identität führt zu Orientierungslosigkeit. Es fehlt das Selbstbild und eine echte eigene Meinung. Jugendliche übernehmen die Identität einer Gruppe und geben andere Ansichten wieder.

  • Beispiel

    Ein Teenager probiert verschiedene Hobbys aus, hat unterschiedliche Freunde und hinterfragt, was andere denken – und wie das Selbstbild dazu passt.

6. Stufe: Intimität und Solidarität vs. Isolation (Frühes Erwachsenenalter)

Kernfrage Satz
Kann ich tiefe Bindungen eingehen? „Ich bin, was ich liebe.“
  • Intimität

    Junge Erwachsene bauen enge und vertrauensvolle Beziehungen auf. Das sind Liebesbeziehungen, aber auch tiefe Freundschaften. Sie kennen die eigenen Bedürfnisse und wissen, was sie von Freundschaften oder Partnerschaften erwarten. Wichtig ist die Balance zwischen Nähe, Verbundenheit und Vertrauen, aber auch Zeit für sich selbst (Exklusivität).

  • Isolation

    Übermäßige Exklusivität führt zur Isolation. Es gibt keine tiefen sozialen Bindungen, keine Freunde oder Liebesbeziehungen. Teilweise sind junge Erwachsene regelrecht unfähig echte Beziehungen aufzubauen. Gefördert wird dies durch die moderne Gesellschaft mit Karrierefokus und großer Mobilität.

  • Beispiel

    Ein junger Erwachsener hat einen festen Freundeskreis und regelmäßigen Kontakt zu wichtigen Personen in seinem Leben. Gleichzeitig nimmt er sich Zeit für eigene Bedürfnisse. Es kommt weder zu Einsamkeit noch zu Selbstaufopferung.

7. Stufe: Generativität vs. Stagnation und Selbstabsorption (Erwachsenenalter)

Kernfrage Satz
Kann ich etwas Sinnvolles beitragen? „Ich bin, was ich bereit bin zu geben.“
  • Generativität

    Erwachsene denken an zukünftige Generationen – vor allem an die eigenen Kindern. Sie wollen etwas Gutes hinterlassen und die Welt für den Nachwuchs zumindest ein Stück besser machen. Neben finanziellen Aspekten geht es um soziales Engagement, Künste oder weitergegebenes Wissen.

  • Stagnation

    Übermäßiger Egoismus führt zur Stagnation. Wer sich nur um sich selbst kümmert und an niemand anderen denkt, erfährt soziale Ablehnung (Selbstabsorption). Mit der Zeit entsteht ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit.

  • Beispiel

    Ein Erwachsener engagiert sich ehrenamtlich in einer gemeinnützigen Organisation, kümmert sich liebevoll um die Erziehung seiner Kinder und ist im Job als Mentor für junge Kollegen tätig. Eine wichtige Fähigkeit aus dieser Entwicklungsphase ist die Fürsorge für andere, ohne die eigenen Bedürfnisse zu vergessen.

8. Stufe: Ich-Integrität vs. Verzweiflung (reifes Erwachsenenalter)

Kernfrage Satz
War mein Leben sinnvoll? „Ich bin, was ich mir angeeignet habe.“
  • Ich-Integrität

    Die letzte Phase im Erikson Stufenmodell ist ein Rückblick auf das eigene Leben. Ich-Integrität entsteht, wenn Menschen mit dem bisherigen Leben glücklich und zufrieden sind. Zentraler Aspekt ist auch die eigene Sterblichkeit. Mit Akzeptanz des eigenen Lebens und der eigenen Persönlichkeit wird der Tod akzeptiert.

  • Verzweiflung

    Verzweiflung und Angst vor dem Tod entstehen durch zu viel Reue und Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben. Betroffene hätten gerne vieles anders gemacht, haben jetzt aber nicht mehr die Chance dazu.

  • Beispiel

    Im hohen Alter blickt ein Mensch zufrieden auf das eigene Leben zurück. Er empfindet Frieden mit seinen Entscheidungen und ist glücklich mit der Person, die er geworden ist. Daraus wächst große Wertschätzung für das Leben und Akzeptanz, dass dieses enden wird.

Anzeige

Kritik am Erikson Stufenmodell

Das Erikson Stufenmodell ist nicht nur bekannt, sondern auch weitgehend wissenschaftlich anerkannt. Es ist eine zentrale Grundlage der Entwicklungspsychologie und relevanter Inhalt der Pädagogik.

Auf der anderen Seite gibt es Kritik an Modell und regelmäßige Diskussionen. Die häufigsten Kritikpunkte im Überblick:

  • Überbewertung des sozialen Umfelds

    Das Modell schätzt den Einfluss des Umfelds auf die psychosoziale Entwicklung sehr hoch ein.

  • Prägung des westlichen Wertesystems

    Der Ansatz basiert stark auf dem westlichen Wertesystem, kulturelle Unterschiede werden nicht berücksichtigt.

  • Unterschiede von Geschlechtern

    Es gibt keine geschlechterspezifische Betrachtung oder Unterschiede innerhalb der Entwicklung.


Was andere dazu gelesen haben