Definition: Was ist eine Wahrnehmungsstörung?
Bei einer Wahrnehmungsstörung ist die Verarbeitung der Sinneseindrücke in Verbindung mit dem zentralen Nervensystem fehlerhaft. Die Sinneseindrücke werden falsch oder mangelhaft verarbeitet. Die Umwelt wird von den Betroffenen verzerrt oder unvollständig wahrgenommen.
Wahrnehmungsstörungen können an verschiedenen Stellen im Wahrnehmungsprozess auftreten:
- Die Erfassung von Sinnesreizen ist gestört.
- Die Verbindung der Sinnessysteme untereinander funktioniert nicht richtig.
- Die geordnete Abfolge bei der Verarbeitung von Sinnesreizen ist betroffen.
Die Sinnesorgane selbst sind dabei zumeist intakt. Gestört ist die Bewertung der aufgenommenen Eindrücke. Wird eine Wahrnehmungsstörung bei Kindern nicht erkannt, führt das zu Fehlinterpretationen, die weitere Probleme nach sich ziehen. In Abgrenzung zu Wahrnehmungsfehlern und einer selektiven Wahrnehmung handelt es sich bei Wahrnehmungsstörungen um einen systemischen Defekt.
Psychologie: Arten der Wahrnehmungsstörung
Der Begriff Wahrnehmungsstörung ist weit gefasst und wird auch mit Krankheiten wie Borderline oder ADHS in Verbindung gebracht. Aus psychologischer Sicht zählen Halluzinationen, Pseudohalluzinationen und Illusionen zu den Wahrnehmungsstörungen. Im engeren Sinne sind damit Störungen gemeint, denen keine psychische Erkrankung zugrunde liegt. Diese werden in der Psychologie nach Ursachen in drei Arten unterteilt:
Modalitätsspezifische Wahrnehmungsstörung
Generell können Wahrnehmungsstörungen bei allen fünf menschlichen Sinnen auftreten. Hören, Sehen, Fühlen, Riechen und Schmecken werden in der Psychologie auch als Modalitäten bezeichnet. Bei einer modalitätsspezifische Wahrnehmungsstörung kann ein Mensch einen bestimmten Sinnesreiz nicht richtig verarbeiten, wohingegen die anderen Sinnesreize normal ausgeprägt sind. So können Betroffene zum Beispiel beim Fühlen (taktile Reize) Probleme haben, alle anderen Sinne funktionieren problemlos.
Intermodale Wahrnehmungsstörung
Bei der intermodalen Wahrnehmungsstörung liegt eine parallele Störung mehrerer Sinnesorgane bei der Verarbeitung von Reizen vor. Hier funktioniert das Zusammenspiel der Sinnesorgane bei Wahrnehmungen nicht. Betroffene können zum Beispiel Probleme beim gleichzeitigen Wahrnehmen und Reagieren auf visuelle und taktile Reize haben, wie beim Greifen nach einem Gegenstand.
Seriale Wahrnehmungsstörung
Liegt eine seriale Wahrnehmungsstörung vor, haben Betroffene Probleme beim Handeln. Sie können die Schritte ihrer Tätigkeit nicht in eine logische und vernünftige Abfolge bringen. Dabei sehen sie nur den aktuellen Schritt und können weitere Schritte nicht richtig in den Handlungsablauf integrieren. Beispiel: Beim Ankleiden wissen Betroffene nicht mehr, ob sie zuerst den Pullover anziehen sollen oder die Jacke. Oder sie können sich bekannte Wege nicht mehr merken und wissen nicht, wo sie abbiegen müssen.
Beispiele für Wahrnehmungsstörungen: Typische Symptome
Einige Wahrnehmungsstörungen sind häufiger als andere. Wir zeigen Beispiele und Symptome zu bekannteren Störungen:
Auditive Wahrnehmungsstörung (Hören)
Bei einer auditiven Wahrnehmungsstörung haben Betroffene Schwierigkeiten, Geräusche richtig einzuordnen. Oder sie nehmen alle akustischen Reize gleich stark wahr, was zu einer Reizüberflutung und Stress führt. Symptome sind eine Geräuschüberempfindlichkeit, Kommunikationsstörungen oder auch verzögerte Reaktionen beim Ansprechen der Betroffenen. Die Probleme Aufmerksamkeits– und Lernstörungen mit sich bringen.
Taktile Wahrnehmungsstörung (Fühlen)
Bei taktilen Störungen können Betroffene die Gefühle, die ihnen die Hautoberfläche vermittelt (Tastsinn), nicht richtig einordnen. Sie reagieren ängstlich oder wütend, wenn andere Menschen sie berühren. Symptome sind eine Überempfindlichkeit (Reize werden als zu stark wahrgenommen) oder eine Unterempfindlichkeit (Reize werden zu stark gehemmt). Weit verbreitet ist eine taktile Wahrnehmungsstörung bei bestimmten Bekleidungsstoffen auf der Haut, die Betroffene als unangenehm oder schmerzhaft empfinden. Bei Kindern kommt es vor, dass sie ihren Körper nicht richtig spüren können.
Visuelle Wahrnehmungsstörung (Sehen)
Visuelle Wahrnehmungsstörungen zeigen sich häufig in einer mangelhaften Koordination der Augen oder einer Störung bei der Verarbeitung von Seheindrücken im Gehirn. Häufig geht dies mit Problemen beim Schreiben und Lesen einher. Buchstaben werden falsch wahrgenommen oder Wörter beim Lesen visuell nicht richtig geteilt. Eine bekannte visuelle Wahrnehmungsstörung ist die Prosopagnosie, die als „Gesichtsblindheit“ bezeichnet wird. Betroffene können Gesichter visuell nicht unterscheiden, alle anderen visuellen Reize werden hingegen korrekt verarbeitet.
Visu-konstruktive Wahrnehmungsstörung (räumliches Empfinden)
Die Wahrnehmungsstörung ergänzt die visuelle Störung mit Problemen beim räumlichen Denken und Empfinden. Dabei können Betroffene Gesehenes und eine entsprechende Bewegung nicht in Einklang miteinander bringen. Dies führt zu Koordinationsproblemen und Problemen mit der Feinmotorik. Ein bekanntes Symptom ist die Schwierigkeit, ein anvisiertes Ziel mit einem Ball zu treffen. Auch allgemeine räumliche Orientierungsprobleme sind typisch.
Ursachen für Wahrnehmungsstörungen
Die Ursachen für Wahrnehmungsstörungen können unterschiedlich sein und reichen von angeborenen Defekten bis zu erworbenen Mängeln. Folgende unterschiedliche Wahrnehmungsstörungen lassen sich bei Kindern und Erwachsenen identifizieren…
Wahrnehmungsstörungen bei Kindern
Bei Kindern sind Wahrnehmungsstörungen oft genetisch bedingt, aber auch andere Ursachen kommen infrage:
- Fehlbildungen von Organen
Diese können sich schon im Mutterleib oder bei der Geburt entwickeln. Auch Hirnfunktionen können davon betroffen sein. - Probleme bei der Geburt
Kommt es bei der Geburt zu einem Sauerstoffmangel, kann dies zu Wahrnehmungsstörungen führen. Auch eine Frühgeburt kann eine Ursache sein. - Drogen während der Schwangerschaft
Sowohl Drogenkonsum als auch Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft können Wahrnehmungsstörungen bei Kindern hervorrufen.
Wahrnehmungsstörungen bei Erwachsenen
Treten Wahrnehmungsstörungen erst bei Erwachsenen auf, so sind die Mängel mit der Zeit erworben worden. Gründe können sein:
- Störungen der Hirnfunktion
Durchblutungsstörungen im Gehirn können zu einem Schlaganfall führen und Wahrnehmungsstörungen verursachen. Häufig zeigen sich Symptome bei Erwachsenen durch Probleme mit der Koordination von Tätigkeiten im Alltag. - Missbrauch von Drogen
Werden über längere Zeit bewusstseinsverändernde, giftige Substanzen und Drogen konsumiert, können Wahrnehmungsstörungen die Folge sein. - Unbehandelte Seh-/Hörschwäche
Besteht eine Seh- oder Hörschwäche bereits seit längerer Zeit und wurde nicht behandelt, kann die Wahrnehmung getrübt sein und eine Wahrnehmungsstörung begünstigen.
Wahrnehmungsstörungen: Behandlungsmöglichkeiten
Wenn Betroffene im Alltag unter ihren Wahrnehmungsstörungen leiden und Probleme haben, sind diese behandlungsbedürftig. Das gilt auch für den Fall, dass sich die Störung negativ auf das Umfeld des Betroffenen auswirkt und sein Familien- oder Berufsleben beeinträchtigt. Die Diagnose zu einer Wahrnehmungsstörung wird von einem Arzt oder Psychologen gestellt.
Geeignete Therapien hängen von der Art der gestörten Sinneswahrnehmungen ab. Es ist wichtig, die Behandlung frühzeitig zu beginnen und besonders bei Kindern Tests durchzuführen, sobald sich Auffälligkeiten bemerkbar machen. So können größere Schäden, Entwicklungsstörungen und starke Belastungen vermieden werden.
Durch Therapien und gezieltes Training werden Störungen gemildert und der Betroffene lernt, besser mit ihr umzugehen. Eine vollständige Heilung ist meist nicht möglich. Eine Ausnahme können Wahrnehmungsstörungen mit einer körperlichen Ursache sein, die durch eine Operation beseitigt werden kann.
Wahrnehmungsstörung Test
Eine Wahrnehmungsstörung lässt sich mit einfachen Mitteln selbst provozieren. Probieren Sie es aus und machen Sie den nachfolgenden Test: Sagen Sie die Farben in der folgenden Abbildung laut auf. Dabei sollen Sie nicht die geschriebenen Worte vorlesen, sondern die Farben nennen, in denen die Worte geschrieben sind:
Bei dem Test erleben Sie den sog. Stroop-Effekt. Sie werden mit widersprüchlichen Informationen und einer Sinnesüberreizung konfrontiert. Das Ergebnis ist Chaos im Kopf. Die Erklärung:
- Das Lesen einfacher Worte (wie Rot, Grün, Gelb, Blau) ist ein automatischer, unwillkürlicher Akt, den Sie schon in frühen Jahren gelernt haben.
- Das Erkennen und Nennen von Farben erfordert mehr Konzentration. Beide Aktivitäten arbeiten in diesem Fall gegeneinander: Ihr Hirn bekommt über die Begriffe mehr Informationen als es verarbeiten kann und soll – das verursacht eine kurzfristige Wahrnehmungsstörung.
Die häufigsten Fragen zu Wahrnehmungsstörungen
- Was versteht man unter einer Wahrnehmungsstörung?
Wahrnehmungsstörungen sind Verarbeitungsfehler von Sinneseindrücken in unserem Nervensystem. Auch treten sie auf, wenn die Verbindung einzelner Sinnessysteme untereinander nicht funktioniert oder die Abfolge bei der Verarbeitung von Sinnesreizen gestört ist. - Woher kommen Wahrnehmungsstörungen?
Wahrnehmungsstörungen können aus unterschiedlichen Gründen entstehen. Sie können angeborene, körperliche Ursachen haben oder durch erworbene Defekte, wie Gehirnfunktionsstörungen, ausgelöst werden. Auch durch den Konsum von bewusstseinsverändernden und giftigen Substanzen können sie begünstigt werden. - Welche Wahrnehmungsstörungen werden unterschieden?
In der Psychologie werden folgende Wahrnehmungsstörungen unterscheiden: Modalitätsspezifische Wahrnehmungsstörungen, intermodale Wahrnehmungsstörungen und seriale Wahrnehmungsstörungen. - Wie kann eine Wahrnehmungsstörung behandelt werden?
Durch Therapien und Training können Wahrnehmungsstörungen oft verbessert werden, eine vollständige Heilung ist aber meistens nicht möglich.
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