Definition: Was ist Selbsttäuschung?
Selbsttäuschung beschreibt in der Psychologie den Versuch, seine (Selbst-)Wahrnehmung oder sein Selbstbild – bewusst oder unbewusst – zu verfälschen und sich selbst zu belügen.
Das funktioniert, indem wir uns die Lügen immer wieder einreden oder über eine verzehrte und selektive Wahrnehmung, unangenehme Wahrheitenen ausblenden.
Die Strategien der Selbsttäuschung
Die Psychologen Francesco Marchi (Universität Antwerpen) und Albert Newen (Ruhr-Universität Bochum) haben untersucht, wie sich die Menschen selbst belügen und dabei vier Strategien der Selbsttäuschung ermittelt:
- Überzeugungen reorganisieren
Dabei werden unliebsame Fakten oder Ergebnisse neu interpretiert, Gründe und Schuldige im Außen gesucht, damit das bisherige Weltbild wieder stimmt. - Tatsachen auswählen
Es werden nur solche Zahlen, Fakten, Studien gesucht und herausgepickt, die die eigene Weltsicht unterstützen. Der Rest wird ignoriert. Typisch etwa für Verschwörungstheoretiker. - Fakten zurückweisen
In dem Fall werden widersprechende Tatsachen nicht nur verleugnet, sondern regelrecht bekämpft und rhetorisch herabgewürdigt oder ins Lächerliche gezogen. - Alternative Tatsachen schaffen
Wenn alle anderen Strategien der Selbsttäuschung versagen, werden eigene, alternative Erklärung und Fakten geschaffen – zur Not durch handfestes Lügen und Verdrehen von Tatsachen.
Selbsttäuschung Synonyme
Häufig verwendete Synonyme für Selbsttäuschung sind: Selbstbetrug, Schönfärberei, Realitätsverleugnung, Illusion, Wunschvorstellung oder (in extremen Fällen) Lebenslüge.
Was macht Selbsttäuschung so gefährlich?
Die Gefahren der Selbsttäuschung bestehen vor allem darin, den objektiven Blickwinkel auf das eigene Leben oder Verhalten zu verlieren. Wer sich alles schön redet, entfernt sich stetig weiter von der Wahrheit und Realität, trifft immer wieder falsche Entscheidungen und erlebt irgendwann ein böses Erwachen.
Ein typisches Beispiel für Selbsttäuschung ist das Festklammern am falschen Job oder an einer toxischen Beziehung. Über Monate oder gar Jahre hinweg, sind wir bereit, immer wieder faule Kompromisse einzugehen oder uns einzureden, dass es irgendwann besser wird. Dabei aber schaden die Betroffenen aber sowohl ihrer Gesundheit wie auch der Psyche.
Formen der Selbsttäuschung
Die Selbsttäuschung kann verschiedene Formen annehmen, die sogar gegensätzlich sind:
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Selbstüberschätzung
Bei der Selbstüberschätzung handelt es sich um eine übertrieben positive Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten oder die Annahme der eigenen Überlegenheit gegenüber anderen. Psychologen sprechen dabei auch von einer kognitiven Verzerrung („Bias„). Der oder die Betroffne glaubt, mehr zu können, länger durchzuhalten oder größeren Einfluss zu haben, als das tatsächlich der Fall ist.
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Selbstsabotage
Umgekehrt ist es bei der Selbstsabotage: Wer sich zum Beispiel einredet, in nichts gut zu sein, hat meist Angst vor Fehlern oder der sozialen Bewertung durch sein Umfeld. Wer wiederum gar nichts wagt oder anfängt, will häufig keine Erwartungen enttäuschen – auch nicht die eigenen.
Die Selbsttäuschung hat meist den Zweck, das Leben zu erleichtern. Dahinter steckt selten eine böse Manipulationsabsicht. Vielmehr sollen Überzeugungen, Glaubenssätze und Weltbilder geschützt und stabilisiert werden.
Die große Gefahr aber bleibt, dass das Kartenhaus aus Illusion und Irrtum irgendwann zusammenstürzt. Oder wir an Überzeugungen festhalten, die uns letztlich schaden oder blockieren.
Selbsttäuschung: Wir belügen uns, wo wir können
„Das glaubst du doch selbst nicht…“ – „Doch!“ – Wir Menschen sind Meister des Selbstbetrugs und der Selbsttäuschung. Wo immer es von Vorteil ist, belügen wir uns oder reden uns die Realität schöner als sie ist. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump nannte das „alternative Fakten“. Wie dreist wir uns dabei in die Tasche lügen, zeigen gleich mehrere Studien um den Verhaltensforscher Dan Ariely.
Bei einem Experiment sollten die Teilnehmer Mathe-Aufgaben lösen. Allerdings konnte ein Teil der Gruppe die Lösungen am Ende des Aufgabenblattes nachlesen. Der eigentliche Test folgte beim zweiten Durchlauf: Diesmal gab es keine Lösungen, allerdings sollten sich die Probanden vorher einschätzen, wie gut sie abschneiden würden. Und siehe da: Die Kandidaten, die zuvor gespickt hatten, schätzten sich prompt besser ein.
Zu schön um wahr zu sein
Nicht nur die eigenen Fähigkeiten und Leistungen werden von vielen Menschen übertrieben eingeschätzt. Auch bei unserem Aussehen pimpen wir die Wahrheit gerne auf: So zeigte eine andere Studie, dass die Probanden ihr eigenes Profilbild aus verschiedenen Fotos schneller erkennen, wenn dieses per Computer und künstlicher Intelligenz zuvor attraktiver und schöner gemacht wurde.
Anders ausgedrückt: Die meisten Menschen sehen sich selbst am liebsten schöner, als sie in Wahrheit sind.
Selbsttäuschung: Warum täuschen wir uns selbst?
In den meisten Fällen ist Selbsttäuschung keine bewusste Handlung, sondern vielmehr ein Schutzreflex. Dabei geht es weniger um körperliche Gefahr, sondern um den Schutz vor einer Bedrohung der Psyche und des Selbstbildes. Wir alle sehen uns gerne in einem positiven Licht, in Glanz und Glorie. Kratzt jemand an diesem schönen Schein, nagt das am Ego und Selbstwertgefühl.
Um diesen Widerspruch zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung auszugleichen, biegen sich dann viele die Realität zurecht. Diese Selbsttäuschung kann sogar von Vorteil sein: Dann etwa, wenn wir uns auf die positiven Aspekte und unsere Stärken konzentrieren, um eine Herausforderung zu meistern oder selbstbewusster zu wirken (z.B. im Vorstellungsgespräch).
Der Nutzen ist allerdings nur kurzfristig. Auf lange Sicht stehen sich die Betroffenen damit selbst im Weg – ihrer Persönlichkeitsentwicklung genauso wie ihrem Erfolg.
Selbsttäuschung bei anderen: Was tun?
Was wir uns selbst nicht eingestehen, springt uns bei anderen nahezu an: Ob Kollege, Freund oder Familienmitglied – jeder kennt jemanden, der zur Schönfärberei neigt oder sich etwas vormacht. Aber wie dann reagieren, was tun?
Eine Option ist immer das 4-Augen-Gespräch: Sprechen Sie die betroffene Person liebevoll darauf an. Rechnen Sie aber mit Gegenwehr: Niemand mag, wenn seine Traumwelt zerplatzt. Manche fühlen sich dadurch persönlich angegriffen. Andere benötigen die Schock-Therapie und sind für den Anstoß und die Desillusionierung dankbar.
In jeden Fall benötigen Sie dafür viel Empathie und Fingerspitzengefühl. Stoßen Sie hingegen wiederholt auf taube Ohren, sollten Sie sich nicht weiter einmischen. Manche überwinden die Selbsttäuschung nur auf die harte Tour. Vielleicht kommt später nochmal eine Gelegenheit, das Thema zur Sprache zu bringen und durchzudringen.
Selbsttäuschung Sprüche und Zitate
- „Der häufigste Missbrauch des Denkens besteht darin, sich und anderen etwas vorzumachen.“(Ernst Ferstl)
- „Wir sind so gewöhnt, uns vor andern zu verstellen, daß wir uns am Ende vor uns selbst verstellen.“ (François de La Rochefoucauld)
- „Mancher fiele schnell der Verachtung anheim, wenn er andere so täuschen würde wie sich selbst.“ (Peter Sirius)
- „Die Qual der Selbsterkenntnis wird durch die Gnade der Selbsttäuschung gemildert.“ (Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger)
- „Von allen Menschen sollte man sich selbst am meisten misstrauen.“ (Horst A. Bruder)
- „Wir alle wissen, was gut für uns ist. Und doch tun wir jeden Tag etwas anderes.“ (Damaris Wieser)
- „Gegen unsere Vorzüge sind wir gleichgültig; über unsere Gebrechen suchen wir uns so lange zu täuschen, bis wir sie endlich für Vortrefflichkeit halten.“ (Heinrich Heine)
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